Verzweifelter Versuch einer “Rettung”
Die ehemaligen DPG-Mitglieder
In dem Artikel in der Zeitschrift „Pathology – Research and Practise“ versuchen H. Uhlendahl und D. Gross – in der Folge Autoren genannt – mit der Fragestellung „Victim or profiteer“ Domagks Stellung im und zum Nationalsozialismus zu erkunden. Der Artikel lautet:
Victim or profiteer? Gerhard Domagk
(1895-1964) and his relation to National Socialism
(https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0344033820305793, zugegriffen 15.2.2023). Dieser im Juni 2020 erschienene Artikel[1] ist eine Antwort auf die Arbeit „Gerhard Domagk – nur ein ‘deutscher Patriot?’“, die 2016 ins Netz gestellt wurde und jetzt auf www.gerhard-domagk-ein-mythos.de zu lesen ist.
Ihre Schilderung von Domagks Lebensgeschichte, insbesondere die näheren Umstände der Nobelpreisverleihung
und seine Stellung davor und danach zum Nationalsozialismus dient auch der Faktenüberprüfung; der Fakten, die in der Auseinandersetzung mit Grundmanns Domagk-Biografie[2] – in der 2016 verfassten, jetzt angegriffenen Arbeit – getroffen worden waren (Stummeyer D [2016] Gerhard Domagk – nur ein „deutscher Patriot“?.
Schon hier fällt auf, wie unterschiedlich die Autoren Grundmanns Verfälschung von Domagks Lebensgeschichte beurteilen – wichtige, auch ihnen zugängliche Tatsachen werden nicht erwähnt, obwohl sie die Faktentreue insgesamt des von
ihnen kritisierten Artikels herausstellen.[3]
Es soll hier nur am Rande bemerkt werden, dass ihr eingeengter Blick – fokussiert auf Entlastung von Domagk und dessen Biografen – nicht frei zu sein scheint, um Neues entdecken zu können oder zu wollen. So tauchen in ihrem Literaturverzeichnis nicht die schon früher veröffentlichten und wichtigen Unterlagen aus dem AA und der Reichskanzlei auf. Diese Unterlagen hätten einen neuen Blick auf das Geschehen um die Nobelpreisvergabe eröffnet[4].
Ein besonderes Anliegen der Autoren ist es anscheinend, Grundmanns Umdeutung der Domagkschen Lebenserinnerungen, wie sie richtigerweise in der gekürzten Fassung vom Herausgeber 1995 bezeichnet werden, in ein authentisches Tagebuch. mit seinem „hagiografischen“ Stil erklären zu können, um nicht zu sagen: zu entschuldigen.
Der Vorgang bleibt eine Fälschung. Sie schreiben: Grundmann habe dies erroneously getan, dabei klingt das „irrtümlich“
mit, nicht das „Absichtsvoll-Bewusste“, das aufgezeigt werden kann.[5] Sie kommen zwar nicht umhin, dem sog. Tagebuch seine Nachträglichkeit zu attestieren. Aber sie übersehen – wohlwollend ausgedrückt – den Prozess, wie dies bei Grundmann passiert. Stattdessen:…as a temporal snapshot, comprises an entirely different category of sources. Sie präzisieren: …memories with a temporal distance to the actual occurences…Die Autoren versuchen zu suggerieren, Domagk habe, zwar im Nachhinein, aber noch im Krieg diese temporal snapshots aufgezeichnet; zB für 1943 sind das 3 snapshots. Belege hierfür können sie nicht anführen.[6]
Mit diesem schwammigen Konstrukt, eingeführt zur Rettung Domagks und Grundmanns, entgehen den Autoren die Verflechtungen von Domagks Lebens- und Forschungsgeschichte, der Firmen- und der Gesellschaftsgeschichte, die
ihren Ausdruck und ihre Form in den skizzierten Lebenserinnerungen von den 1960er Anfangsjahren gefunden haben. Besonders deutlich ist dies an den Auslassungen zur Firmen- und Forschungsgeschichte der Thiosemikarbazone
zu erkennen,
Nur ein Detail: Walther Schultze, Hautklinikdirektor in Gießen und Nazi-Aktivist, testet Sulfonamide und als erster (?) Thiosemikarbazone 1942-1944, testet noch bis 1947 Conteben, fällt dann einem Verdikt zum Opfer. Er kommt nicht in den Lebenserinnerungen vor und noch 2001 wird in Grundmanns Biografie eine Abbildung so geschnitten, dass Schultzes
Anwesenheit bei Domagk ausgelöscht wird, obwohl er als Thiosemikarbazontester affektiv hochbesetzt sein müsste. Noch im Sept./Okt. 1945 hatte er Domagk, der noch festgesetzt war, vergeblich mit einem Sack Kartoffeln in Elberfeld
erfreuen wollen.
Aber geht es den Autoren wirklich um Faktentreue?
Sie schreiben in discussion:
First, Stummeyers critical fact-check is accurate in several important aspects… Dem Several[7],
das einstimmt auf Kommendes, erfolgte vorher kein Faktencheck ihrerseits, der Unstimmigkeiten hervorgebracht hätte. (Vorher war lediglich ein einziges, den Autoren wohl wichtiges, jedoch unterstelltes Faktum durch sie ans ‘Tageslicht’
gefördert worden.[8]) Stattdessen stellen sie fest: Stummeyer’s claim that Domagk was deeply involved in National Socialism is, owever, an exaggeration in view of the available sources. Therefore, his conclusions are to be put into perspective just as those of Grundmann.
Es folgt dem ‘fragwürdigen’ Faktencheck eine ‘fragwürdige’ Bewertung. Es stellt sich die Frage, warum die Autoren diese Behauptung aufstellen. Denn: Es wird im ganzen Text „Gerhard Domagk – nur ein ‘deutscher
Patriot?’“ nirgendwo die Behauptung aufgestellt, Domagk sei deeply involved in National Socialism[9].
Die einzige Stelle in dem Artikel, die scheinbar diesen Befund stützt, spricht von einer tiefen Verstrickung Domagks und seines Biografen[10]. Und das sind sie in der Tat!
Allerdings ist damit, wie aus dem Abschnitt klar erkennbar hervorgeht, die eigene Auseinandersetzung mit dem Thema Nationalsozialismus gemeint:
– für Domagk die Zeit, in der er die Lebenserinnerungen in den 1960ern verfasst,
– für Grundmann die Zeit vor 2001, in der er an dieser Biografie schreibt.
Das heißt, die Autoren beurteilen eine von ihnen selbst aufgestellte, im Text nicht vorhandene Behauptung und legen diese dem Verfasser des von ihnen kritisierten Artikels in den Mund.
Das Aufstellen dieser Behauptung der Autoren hat anscheinend den Sinn, Grundmann und seinen
Kritiker gleichermaßen ihre daneben liegenden Beurteilungen vorzuhalten. „Ins rechte Licht zu rücken“, wohl gemerkt beide Genannten, so nennen es die Autoren. Grundmann und sein Kritiker sind gleich weit, auf entgegengesetzten
Polen, höchstens durch das Wort especially[11] getrennt; sie liegen in ihrer Beurteilung falsch.
Der fälschende Grundmann und sein Kritiker: eine (gewolllte) Relativierung Grundmanns – eines prominenten, ehemaligen, letztjährig verstorbenen Mitglieds der DGP, deren Präsident Domagk in den 1950er Jahren gewesen war?
Um ihre eigene Reputation machen die Autoren anscheinend sich keine Gedanken bzw. müssen sie sich keine Gedanken machen… Trotz des ‘Seitenhiebes’ – sofern die Unterstellungen so bezeichnet werden können – gegen eine Kritik, die „Ross und Reiter“ benennt und die so nicht von den Autoren goutiert wird, kann man sich gemeinsam hinter der von ihnen gewählten Charakterisierung von Domagks „Komplizenschaft“ im NS-Sytems versammeln:
In truth, schreiben sie, Domagk was a profiteer of the nazi regime: he used his (largely National Socialist) professional
network to gain privileges such as regular trips abroad while also, as Weindling argues, supporting the „war-medicine research efforts of the National Socialist state“ through his scientific contributions. In other words, Domagk molded himself to the regime, allowed himself to become integrated in it and therefore contributed to making it more presentable. As such, he bears the classic designation of a political accomplice.
Nichts Anderes, nur mit anderen Worten, sogar – ironischerweise – mit demselben Weindling-Zitat, steht in dem von den Autoren inkriminierten Artikel. So ist der Stand Ende 2016. Was nicht gefunden wird, muss erfunden werden.
Nach vielfachen Besuchen des Bayer-Archivs Leverkusen in den Jahren 2017-2020 lautet eine Beurteilung über Domagks Involviertheit in den Nationalsozialismus unter zugrunde Legung vieler Abstufungen zwischen „wenig“ und „tief“:
Er war erheblich involviert, ohne seine Reserviertheit den Nationalsozialisten gegenüber aufzugeben[12].
Ein Zitat für Januar 1943 in seinen Lebenserinnerungen soll dies verdeutlichen: Domagk ärgert sich über den schleppenden Verlauf der Tuberkuloseforschung. Hörlein droht ihm mit dem Entzug des uk-Status, kann ihn jedoch damit nicht ängstigen. Und sollte es hier auffliegen, schreibt er, wird es auch an anderer Stelle möglich sein, die Arbeiten weiterzuführen; in Schlesien wird ein neues I.G.–Werk [I.G. Farben neben KZ Monowitz, DS] gebaut ; auch in Marburg im
Behring-Institut wäre die Möglichkeit dazu. Außerdem ist mir angeboten worden, wenn ich nur zusage, in Ostpreußen ein Institut für mich vom Gau Ostpreußen zu bauen…[13] Fakten, oder Träume in den 1960er Jahren, es spielt hier keine Rolle.
Ein Zweites. Die (bisher bekannten) Ehrungen in den beiden letzten Kriegsjahren sprechen für eine zunehmende Eingebundenheit Domagks:
Ab Juni 1943: Robert Koch-Preis, Königsberg; Ehrensenator in Greifswald; Ehrenmitglied des Robert Koch-Instituts, ernannt vom Reichsinnenminister Himmler.[14]
1944: Verleihung des Ritterkreuzes zum KVK, dessen Vergabe sich Hitler persönlich vorbehält und zu dessen Übergabe Karl Brandt eigens nach Elberfeld kommt; Mitglied im Wissenschaftlichen Rat Karl Brandts.
1945: Ehrendoktorwürde am 30.1. (!) verliehen durch den Rektor des „Totalen Kriegs“, Pathologenkollege
Siegmund, samt Domagks Dankesbrief vom 31.1. hierfür und seine ominöse Reise Mitte März 1945 nach Norddeutschland, die in einer etwa halbjährigen Festsetzung durch die Amerikaner in sein Sommerhaus endet, wofür ihm sein
Arbeitgeber infolge seiner Abwesenheit die Bezüge um die Hälfte kürzt (1.4.–31.10.1945). Warum?
All diese Daten von 1944/45 erscheinen nicht oder um Wesentliches gekürzt in den Lebenserinnerungen. Domagk scheint seine Loyalität dem NS-Staat gegenüber bis zum Schluss gewahrt zu haben, so jedenfalls die Unterlagen, die keine
Aufkündigung der Loyalität erkennen lassen.
Im letzten Abschnitt ihres Artikels[15] scheuen sich die Autoren nicht, Richtlinien aufzustellen, wie zB Domagks Einstellung zum Nationalsozialismus angemessen zu beurteilen sei, nachdem sie zuvor ‘großzügig’ mit den Fakten der von ihnen kritisierten Arbeit umgegangen waren.[16]
Am Schluss erklären die Autoren, dass kein Interessenkonflikt vorliege. Daran muss
gezweifelt werden.
[1]Die Autoren geben zum Erscheinen ihres Artikels folgende Erklärung: This paper has been written as part of DPG [Deutsche Gesellschaft für Pathologie]–funded research project on the „Role of Pathology and its Re<presentatives in the Third
Reich“. In addition to financial support, the project aims to bring victims of National Socialism back into the collective memory.
[2]Griundmann E (2001) Gerhard Domagk – Der erste Sieger über die Infektionskrankheiten, LIT Münster.
[3]Die Autoren erwähnen nicht Grundmannes:s Verfälschung der Geschichte bei der Verleihung des „Ritterkreuzes zum Kriegsverdienstkreuz“ an Domagk April 1944 durch Karl Brandt. Nach Grundmann: Es ist nicht dazu gekommen. Die Einstellung Domagks war wohl höheren Orts bekannt (Grundmann wie [Anm. 2], S. 110). Weitere Fälschungen Grundmanns: Stummeyer D (2020) Domagk 1937-1951 – Im Schatten des Nationalsozialismus, Springer Deutschland.
[4]DS, S. 15. ( = Gerhard Domagk – nur ein „deutscher Patriot“?).
[5]Im Vorwort redet Grundmann von tagebuchartig. Auf S.69 zB heißt es: Die Tagebucheintragung von Domaglk vom 26.06.1943…(Grundmann wie [Anm. 2]).
[6]Snapshot suggeriert eine Momentaufnahme, Authentizität. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, wie die
Lebenserinnerungen in den 1960er Jahren (so der Herausgeber der gekürzten Ausgabe) skizziert worden sind. In jenen Jahren griff Domagk auf seine Unterlagen, zB persönliche Notizen, Briefe, Einladungen, Redemanuskripte, Telegramme, Forschungsberichte, Veröffentlichungen, Kongressberichte, Urkunden etc., zurück, füllte diese mit Erinnerungen und diktierte sie seiner Sekretärin. Markante Fehlerinnerungen bleiben unkorrigiert (genaues Datum der Brüsseler Experimente, nicht korrekte Bezeichnung und Formel der ersten, nicht so giftigen Thiosemikarbazone zB) – sie sprechen gegen die Snapshottheorie. Die Dramaturgie, wie die Lebenserinnerungen geschrieben sind, lässt keinen Raum
für die These der Autoren. S. auch Stummeyer wie [Anm. 3], 1. Kapitel. Mögen die persönlichen Notizen noch so umfangreich und korrekt sein, sie werden einem Bearbeitungsprozess unterworfen, dem zB betriebliche Belange übergeordnet sind. Um die Autoren zu persiflieren: die Lebenserinnerungen sind ein snapshot bundesdeutscher ‘Vergangenheitsbewältigung’ der frühen 1960er Jahre.
[7]HU/DG, S. 6.( = Victim or profiteer? Gerhard Domagk (1895-1964) and his relation to National Socialism).
[8]a.a.O.,S. 4. Die Autoren schreiben: …As Stummeyer admits, however, we cannot prove that Domagk had conccrete knowledge of the testing of sulfonamides on humans…Im kritisierten Artikel heißt es: Die sich daraus [aus seinen wissenschaftlichen Beziehungen, DS] ergebende Frage nach Domagks Wissen bzw. seinem Wegsehen von unethischen Versuchen im NS-System
kann so nicht gestellt werden. Es zeigt die starke Präsenz und Verankerung des NS-Systems in der deutschen Ärzteschaft und gleichzeitig, dass die Abwesenheit der NSDAP-Mitgliedschaft – wie bei Domagk, Hans Schmidt, Marburg und Richard
Kuhn – keineswegs notwendigerweise Ausweis dafür sind, gesellschaftlich in einer Aussenseiterposition zu stehen. (DS, S. 8).
Es bleibt rätselhaft, woher die Autoren Hinweise für ihre Behauptung finden.
[9]a.a.O., S. 7.
[10]DS, S. 8.
[11]HU/DG, S. 7, letzter Abschnitt.
[12]DS,S. 30. S. auch Stummeyer wie [Anm. 3], S. 127/128.
[13]Domagk, Lebenserinnerungen, S. 192.
[14]Dass dies „Himmler“ gewesen ist, wird nicht gesagt. – Auf der Geschichtswebssite schreibt das RKI für die Zeit des Nationalsozialismus (https://www.rki.de/DE/Content/Institut/Geschichte/geschichte_node.html, zugegriffen 15.3.2023:) 1933: Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten müssen jüdische Wissenschaftler das Institut verlassen. Während des Dritten Reichs ist das RKI erheblich in die nationalsozialistische Gewaltpolitik involviert. Unter anderem sind führende
Wissenschaftler an Menschenversuchen in Heilstätten und Konzentrationslagern beteiligt. 1942: Das Institut wird eigenständige Reichsanstalt und heißt jetzt „Robert Koch-Institut“. Erforscht werden fortan vor allem Infektionskrankheiten, die die militärische Schlagkraft bedrohen. Domagks Spezialgebiet: Gasödeminfektionen.
[15]HU/DG, S. 8.
[16]Für alle aufgestellten Behauptungen Nachweise in: Stummeyer
wie [Anm. 3] oder www.gerhard-domagk-ein-mythos.de.