Gliederung
Mythos-Domagk II
(der Haupttext)
I Historisches
Domagks Lebenserinnerungen
WK I und der Gasbrand
Bewertung des Fortschritts
1920/30er Jahre
Verbessertes Gasbrandserum
II Die Gasbrandbehandlung
Domagks Ausgangspunkt und Fortschritt in der Gasbrandbehandlung
Präzisierung der Gasoedembehandlung 1943
Einwände gegen die Gasbrandbehandlung
Kontroverse Domagk-Schreus
III Einführung der Gasbrandbehandlung in die Wehrmacht
1941-1943
1942 BerChir Prüfauftrag Killian – Verdikt Sauerbruch
Behringinternes Gutachten
Demonstration in Brüssel
Erste positive Meldungen – Küntscher
IV Das Phenolproblem und der Einsatz von Sulfonamiden/Serum bei Wundinfektionen
Juni 1941 Domagk an H. Schmidt
Bieling und Nordmann
Killian, seine Lebenserinnerungen und die Heeressanitätsinspektion
Killians erster Kontakt mit Mrugowsky
Auftritt der Gutachter Jan. 1943 vor dem Senat
Killians Triumpf und der Rat zum KZ
Menschenversuche unter Beteiligung der Behringwerke
Genehmigung zu menschlichen Phenolversuchen
Domagk, Handloser und Penicillin
V Die Auflösung des Rätsels des unterschiedlichen Erfolgs der Gasbrandbehandlung?
Unterschiedlicher Erfolg in unterschiedlicher Umgebung
Penicillin 1946 und 1948
Die 2. eidesstattliche Erklärung Killians
Nochmal Phenol
Übersichtsarbeit zur Gasbrandbehandlung 1962
Gasbrandbehandlung heute
VI Resümee: Gasbrandbehandlung im Nationalsozialismus
Domagks Eingebundenheit in das NS-System
Domagks Brief an Hitler
Nur deutschem Leben helfen
Domagks Bild als neutraler Wissenschaftler
Mythos Domagk – Teil 2
Die Gasbrandtherapie von Domagk und ihr Umfeld
I Historische Entwicklung des Gasbrandserums
… und wir in Meidan Stary [zwischen Brest-Litowsk (heute Brest) und Lemberg (heute Lwiw), DS] unser Lazarett in der noch nicht verbrannten Scheune errichteten. Oft wurde die Nacht hindurch bei Carbidlicht in der Scheunentenne operiert, dabei konnte man sich der Fliegen kaum erwehren. Wenn ich heute daran denke, dünkt es mich wie ein Wunder, dass es unter diesen Bedingungen überhaupt gelang, eine größere Operation genügend keimfrei und erfolgreich so durchzuführen, dass der Patient nicht einer Wundinfektion erlag. Wenn wir einige Stunden zum Schlaf kamen, zogen wir – von den Fliegen geplagt – unter freien Himmel, bis uns der Regen weckte. Wenn wir bei Morgengrauen wieder durch die Scheunen gingen, fanden wir – unter dem Stroh versteckt – immer wieder neue Tote. Wir hatten gezählt, wieviel Operierte in jeder Scheune lagen; manchmal passierte es, dass ein durch Kopfschuss Verwundeter über die anderen hinweg, die sich nicht bewegen konnten, ins Freie geklettert war. Hier lernte ich auch zum ersten Mal die Fruchtbarkeit [sic, DS] der Gasbrandinfektion der Wunden kennen, die unter fürchterlichen Entstellungen in wenigen Stunden oft den Tod der Verwundeten herbeiführte. Nach ungefähren Schätzungen sind allein im deutschen Heere dieser Infektion 100-150.000 Tote zuzuschreiben. Diese furchtbaren Eindrücke eines Medizinstudenten im 1. Semester haben mich mein Leben lang bis heute verfolgt und auf Wege sinnen lassen, wie man diesen fürchterlichen Feinden des Menschen, den Bakterien, die ihn heimtückisch und meuchlings morden, ohne dass man den Feind erkennt und etwas gegen ihn unternehmen kann, wirksam begegnen könnte. Ich glaube, dass ich mir schon damals geschworen habe, zu arbeiten und zu arbeiten, um einen kleinen Beitrag zu diesem Problem zu liefern, falls ich noch einmal lebend in die Heimat kommen würde… [1]
… Wunden, in denen sich Gasödem manifestiert, sind in der Regel tiefere bis in die Muskulatur reichende Verletzungen mit starkem Wundschmerz und ödematöser gelblich verfärbter Umgebung… Fühl- und hörbares Gasknittern in der Umgebung der Wunde sichern die Diagnose Gasödem. [5]
Eine spezifische Behandlung mit einem Gasödemserum, d.h. die Herstellung eines Serums gegen die Toxine der Gasbrandbakterien, wird erst im Laufe des 1. Weltkriegs möglich.
In diesem Weltkrieg mit dem durch den Stellungskampf bedingten Vorherrschen der indirekten Geschoßverletzungen hat, mehr als man zu Friedenszeiten vermuten durfte, die anaerobe Wundinfektion durch ihr gehäuftes, fast epidemieartiges Auftreten Interesse und weitgehendste Beachtung erlangt,
so beginnt Franz Klose (1887-1978), Oberarzt beim beratenden Hygieniker einer Armee sein Referat vor der Kaiser Wilhelms-Akademie im April 1917, um später festzustellen:
Zwar gelang es [vor der Entwicklung des Gasödemserum, DS] durch eine gründliche Wundrevision und durch offene Wundbehandlung in Verbindung mit Amputationen und der Berieselung mit Dakinscher Lösung [6] die Mortalität und Morbidität dieser schrecklichen Kriegskrankheit etwas herabzumindern, aber leider versagten auch bewährte chirurgische Maßnahmen in vielen Fällen, vor allem, wenn infolge schlechter Abschubverhältnisse die Verwundeten erst nach vielen Stunden, zuweilen erst nach Tagen sachgerechter chirurgischer Hilfe zugeführt werden konnten. [7]
Hinzu kommt, so möchte man zufügen, dass das Krankheitsbild des Gasbrands auf Grund seltenen Vorkommens in Friedenszeiten unter den Chirurgen kaum bekannt ist.
Schon hier werden die Transportverhältnisse angeführt, die eine notwendige, nur in den ersten Stunden nach der Verwundung erfolgreiche chirurgische Wundversorgung verhindern – nicht nur die zeitliche Begrenzung, in der eine Wundversorgung stattfinden muss, auch der plötzliche Anfall von zu versorgenden Verwundeten machen die Grenzen einer korrekten chirurgischen Versorgung deutlich. Hierauf werden all die hinweisen, die auf eine spezifische Behandlung der Gasbrandinfektion – sei es mit dem Gasödemserum, sei es mit Sulfonamiden ab 1940 – pochen und den Gewinn an Zeit hervorheben.
Nach dem 1. Weltkrieg, nach der Entwicklung und dem Einsatz von Gasödemserum, auch auf alliierter Seite, resümiert Klose:
Fassen wir zusammen, so kommen wir zu dem Schluß, daß durch die prophylaktische und therapeutische Anwendung des Gasödemserums das Vorkommen von Gasödemerkrankungen sich wird nicht absolut ausschließen lassen, zumal auch die Vielheit der als Erreger in Betracht kommenden Bakterien es als unmöglich erscheinen läßt, eine absolute Polyvalenz für das Serum zu erreichen. Trotzdem aber ist die Serumbehandlung in Verbindung mit chirurgischen Maßnahmen geeignet, die Morbidität und Mortalität dieser furchtbaren Kriegsseuche erfolgreich einzudämmen
Gegen Ende des 1. Weltkriegs wird im deutschen Heer ein polyvalentes Mischserum – Toxine dreier Erregertypen neutralisierend – eingesetzt. [8] Die Häufigkeit der Gasbranderkrankungen sei von 3,7% Mitte 1916 auf 0,3% seit 1917 zurückgegangen, wobei neben möglichst früher chirurgischer Behandlung auch die bessere Serumtherapie mitgewirkt haben mag. [9]
Das Gasödemserum wird hergestellt, indem Pferde gegen je ein einzelnes Toxin immunisiert werden und hieraus ein monovalentes Serum gewonnen wird. Diese Seren werden in ihrer Bedeutung für die Therapie des Gasbrands gemischt und verimpft. [10]
Wolfgang Eckart zitiert Klose, indem er die von 58 auf 42% verringerte Mortalität des Gasbrandes durch eine Serumbehandlung erwähnt und den Fortschritt allgemein auf bakteriologisch-hygienischem Gebiet herausstreicht, der allerdings nach dem verlorenen 1. Weltkrieg überhöht worden sei. Beim Gasödem zB habe sich erst gegen Kriegsende ein Prophylaxeerfolg abgezeichnet. [11]
Der Historiker Linton indessen bestreitet in seinem Artikel, nennenswerten Fortschritt in Forschung, Prophylaxe und Behandlung des Gasbrands im Verlauf des 1. Weltkriegs feststellen zu können. Er lässt einen Armeearzt 1918 pars pro toto sagen: The scourge of gas phlegmon has still not disappeared despite serum treatment… [12]
Zwischen den beiden Weltkriegen setzt eine verstärkte Forschung auf diesem Gebiet ein. Hans Schmidt beschreibt dies so:
Der Weltkrieg [der 1. Weltkrieg, DS] mit der starken Häufung schwerster Gasödemfälle hat der bis dahin nur langsam fortschreitenden Forschung einen gewaltigen Impuls gegeben mit dem Ergebnis, daß durch die Arbeiten von Fraenkel, Aschoff, Weinberg und Séguin, Zeissler und vieler anderer die Ätiologie der Gasödeme geklärt und die anfangs verwirrende Namensgebung der einzelnen Erreger endgültig und international geregelt wurde. [13]
…Nach dem Kriege ist das Gasödemserum in seiner Wirksamkeit verbessert worden. Von den Behring-Werken wird heute [1936, DS] ein Gasödemserum als Mischserum eines Anti-Fraenkelserums, eines Anti-Pararauschbrandbacillus-Serums und eines Anti-Novyschen Ödembacillusserums hergestellt, das für die Therapie in Dosen bis zu 100 ccm vorgesehen ist, während für die Prophylaxe ein Anaerobenserum [14] bestimmt ist, dem außer den drei vorgenannten Sera noch eine prophylaktisch ausreichende Menge Tetanus-Antitoxins zugegeben ist und das in der Dosis von 30-40 ccm subcutan, intramuskulär und möglichst auch intravenös angewandt werden soll… [15]
Abb. 1: Lehrbuch der Militärhygiene
II Die Gasbrandbehandlung
Dies ist der Stand der Gasödemserumbehandlung, als Domagk beginnt, neu synthetisierte Sulfonamide auf Anaerobier zu testen. Seine Hoffnung ist, einen Stoff zu finden, der die verschiedenen Gasbranderreger direkt bekämpft. So soll der Gasbrand von zwei Seiten, einmal durch das Immunserum, das die Toxine neutralisiert, und durch ein Sulfonamid, das die Erreger angreift, behandelt werden. Domagk setzt sich immer für beides ein, für eine Gasödemtherapie mit einem Serum der Behringwerke und mit einem Sulfonamid.
Schon die frühen Sulfonamide Prontalbin, Uliron und Sulfapyridin zeigen sich empfindlich gegen Anaerobier, so dass sie zu Kriegsbeginn gegen Gasbrand eingesetzt werden, [16] wenn auch ihr Wirkungsspektrum gegen die einzelnen Erreger sehr zu wünschen lässt. Einen Durchbruch gelingt dem Chemiker Klarer 1938 mit der Synthese des Mesudin [17], dem Domagk eine besondere Wirkung gegen Anaerobier nicht nur auf Grund seiner tierexperimentellen Ergebnisse bescheinigt.
Zusammenfassend [i.O. kursiv, nicht fett, DS] hält Domagk 1942 fest, daß therapeutisch mit Marfanil beachtliche praktische Erfolge zu erzielen sein müßten, was die Praxis inzwischen bestätigt hat. Insbesondere halte ich eine Kombination von Marfanil mit dem polyvalenten Gasödemserum für zweckmäßig. [18]
In derselben Ausgabe wird ein polyvalentes Gasödemserum der Behringwerke erwähnt, dem ein weiterer Bestandteil zugemischt (nun gegen vier Erreger) und insgesamt verstärkt wird, so dass es jetzt noch wirksamer gegen die Toxine der Gasbranderreger sein soll, nicht vergleichbar mit dem Serum aus dem 1. Weltkrieg. [19]
Domagk ist so sehr überzeugt von seiner Gasbrandtherapie, dass er in seinen Lebenserinnerungen für Weihnachten 1942 schreibt:
… Eigentlich dürfte es keinen Gasbrand und überhaupt keine schwere Wundinfektion mehr geben, wenn man sich eng genug an unsere Erfahrungen im Experiment anlehnen würde. Ganz gleich, mit welcher Erde wir heute infizieren; mit Marfanil oder den Marfanil-Mischungen können wir jede Infektion verhindern. Sind sie nun in die Praxis umgesetzt? In welchem Umfang? Aus der Praxis höre ich wenig, von einigen Stellen, dass sie seit längerer Zeit kein Gasoedem mehr sehen, aber dass dies auf Konto der Sulfonamide geht, glauben die meisten immer noch nicht. Fabriziert wird viel aber noch nicht genug. Habe mich noch für eine Vergrösserung der Fabrikation eingesetzt, wenigstens 10-12 Moto…
Auf der Chirurgentagung in Dresden im Oktober 1943 präzisiert er in 9 Punkten seine Erkenntnisse aus den Tierexperimenten und leitet daraus Forderungen für die klinische Behandlung ab, die eine möglichst frühzeitige, auch lokale Therapie mit Marfanil und mit Gasödemserum betonen, ohne dass die chirurgische Wundversorgung vernachlässigt werden dürfe. Allerdings sei durch die frühzeitige Sulfonamidtherapie die Zeitspanne, innerhalb derer eine notwendige Wundrevision erfolgreich durchgeführt werden könne, dadurch erheblich vergrößert. [20]
Domagk sendet sein Dresdener Referat an K H Bauer, den er auf dem Kongress vermisst. Die Kongressregie ist Domagk nicht wohl gesonnen. Bauer ist als Heidelberger Chirurgie-Ordinarius eine Art Gegenpol zu Sauerbruch, den 15 Jahre Älteren , der zu Beginn hoch geehrt wird. Die Einstellung Bauers zu den Sulfonamiden dürfte für die anderen Lehrstuhlinhaber von wesentlicher Bedeutung sein; seine fachliche und menschliche Autorität wird allgemein anerkannt. Doch Bauer hält sich bedeckt: Er redet in seinem Dankesbrief vom grossen Genuss beim Lesen und versichert, dass er das Referat für unsere chirurgischen Zwecke weiterverarbeitet habe. [21]
Abb. 2: Domagk an Bauer vom 1.11.1943
Diese Behandlungsmethode des Gasbrands bleibt für Domagk auch nach Ende des Krieges weiterhin aktuell. [22] So schreiben 1952 Klostermeyer und Haferland [23], die günstigste Behandlungsmethode bei Gasödem sei die lokale und orale Therapie mit Marfanil und mit hohen Dosen von Gasödemserum (100-150 ccm). [24]
Die Gasbrandtherapie, die Domagk ab 1939 unermüdlich propagiert – Marfanil (Produkt der I.G. Farben-Elberfeld) und Gasödemserum (Behringwerke Marburg, ebenfalls zur I.G Farben gehörig) – ist hoch umstritten. Dem Gasödemserum wird irgendeine Wirksamkeit abgesprochen, so dass behandelnde Chirurgen seinen Einsatz ablehnen, und die Wirksamkeit von Marfanil wird angezweifelt. [25] Einerseits werden Einwände gegen das Marfanil und das Gasödemserum hinsichtlich ihrer Wirksamkeit gemacht, andererseits befürchten namhafte Chirurgen, dass durch die medikamentöse Behandlung die chirurgisch gebotene Wundbehandlung vernachlässigt werden könnte. Das Spektrum reicht von begeisterter Annahme bis zu schroffer Ablehnung.
Domagk und Schreus, ein Dermatologe und früher klinischer und tierexperimenteller Forscher von Sulfonamiden, vertreten unterschiedliche Richtungen in ihren Tierexperimenten. [26] Domagk injiziert gesunden Versuchstieren Gasbrandbazillen, während Schreus Gasbrandbazillen (zB durch verschiedene Erdproben) in eine Wunde einbringt, die entstanden ist durch Inzision und Quetschung eines Muskels (verschärfte Friedrichsche Versuchsanordnung). [27] So hofft Schreus möglichst nahe mit der artifiziellen Wunde der tatsächlichen Kriegswunde zu kommen.
Im Januar 1942 bescheinigt Schreus dem lokal angewandten Marfanil gleiche Wirksamkeit wie dem Globucid in seiner Versuchsanordnung. Allerdings sind die Versuchsgruppen (Meerschweinchen) von Schreus wegen Tiermangels klein, wohingegen Domagk in seinen Versuchen mit Mäusen, denen er Gasbranderreger aus Kulturen injiziert, beste Ergebnisse mit Marfanil erzielt. 1944 berichtet er von Versuchen an Kaninchen mit verschiedene Erdproben, wiederum mit überwältigendem Erfolg. Die Differenzen mit Schreus sind nicht mehr erwähnenswert. Dem immer wieder vorgebrachten Argument, Marfanil wirke nicht gleich erfolgreich gegen die verschiedenen Gasödembazillen, versucht er durch eigene Untersuchungen entgegenzutreten. Für das Fraenkelsche und das Novysche Bazillus stellt er zwar eine verminderte Wirksamkeit des Marfanil fest, bescheinigt gleichwohl dem Marfanil in Kombination mit dem Gasödemserum überragenden Erfolg. [28]
III Einführung der Gasbrandbehandlung in die Wehrmacht
Schon früh – nach seinem „Tagebuch“ Anfang September 1939 – stellt Domagk der Heeressanitätsinspektion seine Forschungsergebnisse zur Verfügung, in der Hoffnung, dass diese die Gasbrandbehandlung, so wie er sie propagiert, als Dienstanweisung für das Heer erlässt – erst im August 1943 wird eine Anweisung an Truppenärzte offiziell gegeben, [29] die allgemein Sulfonamide, vorrangig Globucid und Marfanil neben dem Gasödemserum nennt, d. h. aber nicht, dass nicht schon vorher tonnenweise Marfanil eingesetzt worden wäre. [30]
Vorausgegangen ist eine Sitzung des Wissenschaftlichen Senats für das Heeressanitätswesen im Oktober 1940, die Referenten (Zeissler, Orator, Domagk, Schreus, Schloßberger, Guleke, Gohrbandt und Gutzeit.),[31] befürworten im Prinzip eine Gasbrandtherapie mit Sulfonamiden und Gasödemserum, wobei sie jedoch noch erheblichen Forschungsbedarf anmahnen.
Abb. 3: Deckblatt des Gutachtens
Domagk übernimmt hier in seinem Gutachten vom 19.9.1940 alle bisherigen wesentlichen Empfehlungen für eine Gasbrandtherapie: Frühestmöglicher Beginn der Therapie (im Anschluss an schwere Muskelwunden möglichst sofort nach der Verletzung) mit kombinierter Behandlung von Mesudin und Gasödemserum in hoher Dosierung über 3-4 Tage.
Schreus beschließt sein Gutachten mit den Worten:
Die Sachlage ist meiner Meinung nach heute bereits so, daß nicht mehr die Frage berechtigt ist: wendet man diese Präparate [v.a. Mesudin, Albucid und Sulfacid, DS] überhaupt an, sondern nur die Frage: wie ist ihre günstigste Anwendung [gemeint ist die Chemoprophylaxe, DS], insbesondere auch mit Bezug auf die übrigen bisher als wirksam erwiesenen Mittel? Es muß dabei als ein besonderes Glück bezeichnet werden, daß die meisten Körper aus dieser chemischen Familie [Sulfonamide, DS] ein recht gefahrloses und die übrigen Maßnahmen nicht störendes Darreichen und Weiterproben gestatten [unterstrichen i.O., DS].
Im Oktober 1941 wird folgender Standpunkt (Der Reichsminister der Luftwaffe und Oberbefehlshaber der Luftwaffe) zur Gasbrandbehandlung eingenommen: Gasödemserumprophylaxe und -therapie, Empfehlung, die Sulfonamide Mesudin oder Eubasin, mangels Erfahrung in großem Umfang zu erproben.
Wie wenig wissenschaftliche Klarheit gewonnen werden kann, zeigt ein Papier von Anfang 1942, zu dem sich namhafte Forscher (Wachsmuth, Gins, Zeissler, Krauspe) [32] zusammenfinden. Unter VII. heißt es:
Bis jetzt hat sich keines der bekannten Chemotherapeutika [i. O. unterstrichen, DS] als sicher wirksam erwiesen, weder für die Prophylaxe noch für die Therapie. … Die lokale Chemoprophylaxe hat im Anschluss an die erste chirurgische Wundversorgung zu erfolgen. … Es ist aber nur von solchen chemotherapeutischen Mitteln ein Nutzen zu erwarten, welche die beiden häufigsten und wichtigsten Gasoedembazillen spezifisch angreifen: den Fraenkel’schen Gasbazillus (B. welchii, B. perfringens) und den Novy’schen Bazillus des malignen Oedems (B. oedematicus). Das tut keines der bisher bekannten Chemotherapeutika. Auch Mesudin (Marfanil) hat seine Hauptwirkung nicht gegen die beiden wichtigsten Gasoedembazillen, sondern gegen den Pararauschbrandbazillus (B. septicus, Vibr. septique. Der Pararauschbrandbazillus ist aber nur am Zustandekommen eines geringen Teiles der bis jetzt bakteriologisch analysierten Gasoedeme dieses Krieges beteiligt gewesen. (s. Tabelle S. 1). [33]
Abb. 4: Gutachten über Gasoedeme (Wachsmuth, Gins, Zeissler, Krauspe)
So nimmt es kein Wunder, dass sich im Archiv in Leverkusen eine Notiz über Wachsmuth und seinen Lehrer, den Chirurgen von Redwitz (chirurgischer Lehrer von Killian) in Bonn, findet, in der die Befürchtung geäußert wird, dieser werde von Wachsmuth in seiner ablehnenden Haltung den Sulfonamiden gegenüber bestärkt, besonders hinsichtlich der Gasbrandprophylaxe und -therapie. [34]
Dennoch ergeht im April 1942 eine Anweisung für Truppenärzte, als wirkungsvolles Sulfonamid Globucid (Schering AG), oral, lokal und parenteral, gegen Gasbrand neben dem Gasoedemserum unter Vorsichtsmaßnahmen (zB Narkose oder Verdünnung des Serums durch Kochsalzlösunsg, um den primären Serumschock, Reaktion auf körperfremdes Eiweiß, zu vermeiden) einzusetzen. [35] Die hoffnungsvollen Ergebnisse von Schreus, die er beim Einsatz von Globucid beobachtet, mögen diese Anweisung gefördert haben.
Wie sehr auch weiterhin die Frage einer erfolgreichen Gasbrandbehandlung im Vordergrund steht, zeigen die Richtlinien zur Chemotherapie der Wundinfektionen der Arbeitstagung Ost der Beratenden Chirurgen vom Mai 1942. [36] Darin heißt es u.a.: … Die Verhütung des Gasoedems durch Chemotherapeutika ist nicht sicher. Sammlung weiterer Erfahrungen auf diesem Gebiet ist besonders erwünscht… Vorzugsweise wird das Globucid empfohlen. Hans Killian, [37] Beratender Chirurg, wird beauftragt, mit Domagk weitere kritische Zusammenarbeit zu betreiben. Sauerbruch kritisiert – mit Blick auf die Befürworter einer Sulfonamidbehandlung – die Primitivität der Anschauungen über Wundheilung. [38] Durch die verstärkte Zusammenarbeit von Domagk und Killian gerät die Gasbrandtherapie speziell in den Fokus.
Die gemeinsame, von Domagk und Zeissler, erfolgte Demonstration von der Wirksamkeit des Marfanils vor Handloser, Brandt, Wachsmuth (s. Anm. 32 und 65) u.a. im Sonderlazarett Brüssel Juni 1942 endet damit, dass Richtlinien für den neuen Einsatz [von Marfanil] festgelegt werden, die vom Heeressanitätsinspekteur genehmigt und unterstützt werden. Domagk hatte vorher Ausführungen über die Aussichten der Sulfonamide in der Bekämpfung der Gasoedeminfektionen vorgetragen. In den schriftlichen Richtlinien des Heeressanitätsinspekteurs vom 7.7.1942 werden die Gasödeminfektionen jedoch nicht explizit erwähnt. [39]
Abb. 5: Richtlinien des Heeressanitätsinspekteurs
Von hoffnungsvollen Untersuchungen über Gasbrand und im Allgemeinen über Wundinfektionen berichtet Killian Domagk. Als seinen vertrauensvollen Gewährsmann nennt er Gerhard Küntscher [40]. Doch zum ersten Mal erwähnt er im gleichen Brief den Phenolzusatz zum Gasödemserum, den er ihm entzogen habe. Aus diesem Grund bittet er um eine neue Antikörperbestimmung des Serums, [41] wohl um festzustellen, ob eine Wirkungsabschwächung stattgefunden habe.
IV Das Phenolproblem und die Einführung einer aktiven Immunisierung
Bereits über ein Jahr früher, 1941, berichtet Domagk seinem Kollegen Hans Schmidt in Marburg von Tierversuchen mit Gasödemserum und äußert den Verdacht, der Phenolzusatz rufe schwere Schockzustände hervor. Deswegen regt er zu prüfen an, ob nicht auf den Phenolzusatz verzichtet werden könne. [42]
Abb. 6: Brief Domagks an Hans Schmidt, Behringwerke Marburg vom 4.6.1941
In dem im Anhang ihres Buches erwähnten Nebenwirkungen bei der Serumtherapie schreiben die Autoren Bieling [43] und Nordmann kurz zuvor über den Phenolzusatz: Das Phenol ist in sehr geringer Menge in dem Serum vorhanden und ist an Eiweiß gebunden. Toxische Dosen können auch durch große Seruminjektionen nicht erreicht werden…, daß Karbol[=Phenol, DS]schädigungen praktisch nicht zu befürchten sind… [44]
Abb. 7: Aus Bieling und Nordmann (1941) Kriegserfahrungen zur Pathologie und Therapie des Gasbrandes, S.78. Hier nur Frühprophylaxe. Dieses Merkblatt war dem Gasödemserum der Behringwerke Marburg zur Anwendung für die Truppenärzte beigegeben und gültig bis April 1942.
Dass Killian auf den Phenolzusatz als Auslöser von Komplikationen, auch eines Todesfalls, aufmerksam geworden ist, berichtet er in dem mit Das Gasbrandserum überschriebenen Abschnitt seiner Erinnerungen 1941-1943. [45] In Selbstversuchen der zuständigen Serologen werden die Komplikationen bei der Gabe von Gasödemserum reproduziert, so Killian weiter. Es erfolgt ein Bericht an die Heeressanitätsinspektion.
Sein Kontakt mit der Heeressanitätsinspektion, der zu einer Vortragseinladung vor dem wissenschaftlichen Senat der militärischen Akademie führt, sind dokumentarisch belegt. Diese Einladung bringt ihn wohl in Kontakt mit dem SS-Hygieniker Mrugowsky. [46] Es gibt eine eidesstattliche Erklärung Erwin Ding-Schulers, die Killians Anwesenheit bei einer Unterredung mit dem Generalarzt Schreiber, mit Mrugowsky, mit einem ihm unbekannten Sanitätsoffizier und Chirurgen und mit ihm selbst bezeugt und deren Thema die Gasbrandserum-Todesfälle gewesen sei. [47] Während dieser Unterredung habe Mrugowsky ihm, Ding-Schuler, den Befehl erteilt, an einer Euthanasie durch Phenol teilzunehmen, um die Wirkung der Injektion genau beschreiben zu können. Diese eidesstattliche Erklärung Ding-Schulers wird im Nürnberger Ärzteprozess als glaubhaft eingestuft, zumal sie von dem KZ-Lagerarzt Waldemar Hoven bestätigt wird, der Ding-Schuler zu einer (tödlichen) Phenolinjektion hinzugezogen habe. [48]
Am 28.1.1943 findet mit den Gutachtern Denk, Krauspe, Schloßberger und Killian eine Tagung zum Thema Gasödemserum vor dem wissenschaftlichen Senat der Heeressanitätsinspektion statt. [49] Die beiden letzten Gutachter und vor allem Killian raten wegen der geringen Wirksamkeit, der fehlenden Akzeptanz und der toxischen Gefährlichkeit des Serums zu einem menschlichen Serum mit aktiver Immunisierung. Zur Durchführung der Immunisierung kämen vor allem die gut überwachten und kontrollierten Konzentrationslager in Frage… Die aktive Immunisierung ist praktisch erprobt… Hier müssten die Erfahrungen der B e h r i n g w e r k e [gesperrt i.O., DS] und der Veterinärmediziner maßgebend ausgenutzt werden. [50]
Abb. 8: Mitglieder des Wissenschaftlichen Senats des Heeressanitätswesens, ernannt von Adolf Hitler
Killian beruft sich hier auf Hans Schmidt, Marburg, der ganz am Schluss die aktive Schutzimpfung von Toxoiden der Gasbranderreger beim Menschen erwähnt. Soweit bisher nach zweimaliger Injektion festgestellt werden konnte, ist die damit erzielte am Blutantitoxintiter gemessene Immunität stärker als sie selbst durch eine erhebliche Serummenge passiv vermittelt werden kann. [51]
Voller Freude über den Erfolg bei seinem Vortrag berichtet Killian Anfang Februar 1943 Klingelhöfer [52] im REM: Er habe im Senat alle Forderungen durchgesetzt. Der gefährliche Phenolzusatz zu Immunseren wird fallen… Die gesamte Industrie wird sich hiernach richten müssen. Ferner habe ich auch den Übergang von tierischen Seren zu menschlichen Seren durchgesetzt. Zusammen mit der SS-Sanitätsleitung habe er einen Plan entworfen und die Behring-Werke eingespannt. … ich hoffe, eine Wendung in der Serumtherapie herbeigeführt zu haben. Er spricht von weiteren Versuchen im Felde und im Reich. [53]
Klose erwähnt 1944 die aktive Schutzimpfung, wie sie von Demnitz (Behringwerke) entwickelt worden sei, allerdings schränkt er zugleich ein, ob diese zur erfolgreichen Prophylaxe geeignet sei, bedürfe noch weiterer Klärung. Für die Prophylaxe empfiehlt er 8 ccm s.c. des polyvalenten (4 Quoten) Gasödemmischserums, für die Spätprophylaxe 50 ccm i.v. eines sehr viel stärkeren Gasödemmischserums, für die Therapie bis zu 400 ccm i.v. des letzteren Gasödemmischserums an 4 Tagen bei festgestelltem Gasbrand. [54]
Abb. 9: Aus der Entnazifizierungsakte Albert Demnitz: Zeitungsausschnitt aus Marburger Presse vom 26.11.1947
In der Entnazifizierungsakte von Albert Demnitz [55] gibt es ein Schriftstück, in dem er erläutert, wie das in dem Forschungslaboratorium der Behringwerke hergestellte Fraenkel-Toxoid in die Hände der SS kommt: …Die Behringwerke wurden am 5.3.1943 von der Heeressanitäts-Inspektion gebeten, den … Gasödem-Formoltoxoid-Impfstoff an den Heeres-Sanitätspark zu senden, letzterer würde den Impfstoff an den SS-Standartenführer Dr. Mrugowsky weiterleiten. Ein kurzer Schriftwechsel ist nur insofern entstanden, als wir von Zeit zu Zeit Serumproben der Impflinge eingesandt erhielten, die wir auf Antitoxingehalt zu prüfen hatten…Hier geht es besonders darum, den Eindruck zu erzeugen, dass es keinen direkten Kontakt zu Mrugowsky gegeben habe. [56]
Für November 1943 erscheint in Ding-Schulers Tagebuch, in dem hauptsächlich über Fleckfieberversuche berichtet wird, ein Hochimmunisationsversuch mit Fraenkel-Impfstoffen im KZ Buchenwald – so wie Killian angeregt hatte. [57]
15 KZ-Häftlingen wird nach einer Grundimmunisierung mit dem Toxoid nach 2 Wochen in regelmäßigen Abständen in steigender Dosierung insgesamt das 16fache der Grundimmunisierung (3 x 1 ccm) gespritzt – ohne eine Antikörperbildung zu beobachten. Die Blutbestimmung der Antikörper erfolgt in den Behringwerken Marburg. Für das negative Versuchsergebnis haben Schmidt und Demnitz eine Vermutung, die bei einem anderen Versuch im KZ zugetroffen habe: unzureichende Ernährung der Versuchshäftlinge. Sie bitten um eine neue Versuchsserie mit kräftig ernährten Menschen, verändertem Dosierungsschema und Immunisationsrhythmus. Allerdings sei auch dann nicht gewährleistet, fügen sie hinzu, dass der dann erreichte Antitoxintiter den Gasbrand erfolgreich verhindere. Eine diesbezügliche Anfrage des Betriebsleiters der Behringwerke Demnitz beantwortet im März 1944 der Sturmbannführer der Waffen-SS und Abteilungsleiter am Hygiene-Instituts der Waffen-SS im KZ Buchenwald Ding-Schuler ausweichend [58] Ob es weitere Versuche zur Verträglichkeit und ob es insbesondere Versuche zur Wirksamkeit der aktiven Immunisierung bei gasbrandinfizierten Menschen gekommen ist, lässt sich nicht sagen – darüber existieren keine Unterlagen. [59] [60]
Weder von den Bemühungen bzgl. zur aktiven Gasödemprophylaxe noch von denen, die zur Lösung des Phenolproblems führen sollen, erfährt man in Domagks Arbeiten etwas. Es wird das bekannte höchstwertige, manchmal höchstwertigste [sic, DS] passiv immunisierende Gasödemserum gepriesen. Ebbinghaus und Roth erwähnen den Repräsentanten der Behringwerke, Richard Bieling, dessen Aussage, der Phenolzusatz sei ungiftig, anscheinend jegliche wissenschaftliche Kritik verstummen lasse. [61]
Abb. 10: Schreiben vom 24.8.1944, Grawitz an Mrugowsky
Am 17. August 1944 schreibt Reichsarzt-SS Ernst Grawitz, ein Befürworter des Sulfonamideinsatzes, an den Ravensbrücker Menschenversuchen beteiligt, an Himmler, der Phenolzusatz müsse wegen des Verdachts schädigender Wirkungen einer endgültigen Klärung zugeführt werden. Diese Frage lässt sich nur am Menschen entscheiden. [62] Eine Woche später meldet sich Grawitz bei Mrugowsky, beide Versuchsreihen – spezifische Therapie bei Fleckfieber und Verträglichkeit phenolhaltiger Seren – seien von Himmler genehmigt und könnten in Buchenwald stattfinden. [63] Entsprechende Versuchsreihen mit phenolhaltigem Serum lassen sich in Ding-Schulers Tagebuch nicht finden.
Wegen dieses Themas – der Konservierung von Heilsera – wird 1944 ein Forschungsantrag von Heinrich Zeiss angenommen, er hatte schon mehrfach genehmigte Anträge zur Fleckfieberforschung gestellt: Versuche zur Konservierung von Heilserum mit neuer Konservierungsmethode. Er versucht eine Konservierung mittels UV-Strahlen zu erreichen. [64]
Domagk hat bis Kriegsende einen direkten Kontakt zum Inspekteur des Heeressanitätswesens Handloser gehalten. [65] Er übereignet ihm zu Weihnachten 1944 die neueste Auflage seines Buches (mit O. Hegler). In seinem Schreiben stellt er fest, dass die bisherigen Untersuchungen keine Überlegenheit des Penicillins ergeben hätten. Deshalb seien Proben aus Beutebeständen für ihn wertvoll. Er schließt diesen Absatz: Bei Anaerobeninfektionen war im Gegensatz zu der sicheren Wirkung des Marfanil überhaupt keine Wirkung [bei dem Penicillin, DS] feststellbar. [66]
Abb. 11: Domagk an den Heeressanitätsinspekteur vom 19.12.1944
V Die Auflösung des Rätsels des unterschiedlichen Erfolgs bei der Gasbrandbehandlung?
Nach dem Krieg wird von einer Untersuchung berichtet, die ein neues Licht auf die breit streuenden Ergebnisse der Gasbrandbehandlung wirft. [67] Es wird von einem Experiment berichtet, das die unterschiedliche Virulenz eines Gasbranderregers (Cl. welchii = Fraenkelscher Gasbrandbazillus = Cl- perfringens) in verschiedenen Umgebungen untersucht. Der Gasbranderreger sei 1000mal virulenter, wenn er in einen gequetschten Muskel und eine Million mal virulenter, wenn er in einem mit Erde versetzten, gequetschten Muskel eingebracht wird als in gesundes Gewebe. Gequetschter Muskel mit Erde kontaminiert schaffe ein abnormes physiologisches Milieu der Wunde, das selbst bei geringer Anzahl von Erregern die Ausbildung eines Gasbrands ermögliche.
In dem Schlusskommentar in einem Artikel über Chemotherapie (mit Penicillin) bei Gasbrand heißt es:
An analysis of these experimental studies explains many of the discrepancies in the results of chemotherapy in gas gangrene. It is obvious that the experimental infection produced in the presence of crushed muscle and dirt is considerably different from that produced by the simple injection of bacteria with or without local irritants into healthy muscle. It is not much more severe but also much more refractive to therapy. Consequently, chemotherapeutic agents have been made to appear much more effective in the past than they really were when tested against experimental infections produced by simple injection of bacteria… [68]
Danach würden sich die unzuverlässigen Ergebnisse (Killian Oktober 1943) der Gasbranderkrankungen, was die Heilung anbelangt, erklären lassen: die Medikamente wirken in verschiedener Umgebung unterschiedlich wirkungsvoll, abgesehen davon, wie überhaupt die Übertragbarkeit von Tierversuchen auf den Menschen aussieht.
Killian erwähnt 1946 in einem Vortrag über Penicillin die Sulfonamide und das Gasödemserum. …Wir haben im übrigen mit den Sulfonamiden und auch mit dem Gasbrandserum, das man so sehr empfahl, genau dieselben bitteren Enttäuschungen erlebt. [69] Zwei Jahre später schreibt er: Seinerzeit hoffte Domagk mit dem Marfanil die Gasbranderkrankungen wirksam bekämpfen zu können. Leider wurden wir klinisch enttäuscht. An der Richtigkeit der Tierversuche von Domagk und anderen, von denen der Verfasser sich selbst überzeugte, kann aber nicht gezweifelt werden… [70]
In einer 1962 erschienenen Übersichtsarbeit über Infektionen durch Anaerobier beim Menschen spiegelt sich dieser unentschiedene Streit, was die Wirksamkeit der Sulfonamide, speziell des Marfanils, anbelangt.
Etwas nebulös schreiben 1948 Schönfeld und Kimmig, sich auf die wissenscaftliche Aussprache in Berlin über die klinische Bedeutung der Sulfonamide beziehend (13./27.1./10.2.1943): ... Der deutsche Schwanengesang über die Sulfonamide vor dem Zusammenbruch und fügen hinzu: Immerhin waren sie nicht das letzte Wort in der wissenschaftlichen Welt Europas. [71]
Wie ein Nachhall auf längst vergangene Zeiten, als die Gasbrandprophylaxe und -therapie mit Penicillin schon lange Usus ist, wirkt ein Artikel von Ruge, in dem er von prophylaktischen Tierexperimenten mit Katoxyn (Dibenzoylperoxid mit Silber), einem Wundpulver berichtet [72] – dieses wurde neben Marfanil bei den Ravensbrücker Menschenversuchen 1942 eingesetzt.
In einer zweiten eidesstattlichen Erklärung zugunsten Mrugowskys vom 18. März 1947 äußert sich Killian enttäuscht über die hohen Erwartungen, die mit der Gasbrandbehandlung mit Marfanil und der passiven Immunisierung verbunden waren. Auf beiden Seiten seien die Erfahrungen mit Marfanil bzw. Penicillin ernüchternd gewesen, die Mortalität etwa bei 35%. Mit chirurgischer Behandlung alleine 20-25%. [73] Hinzufügen – die eidesstattliche Erklärung dient einem anderen Ziel – muss man, dass die allein Erfolg versprechende frühestmögliche Behandlung vorgenommen werden muss, ehe oft eine endgültige Gasbranddiagnose gestellt werden kann. D.h., dass der subjektiven Erfahrung des Behandlers eine wichtige Bedeutung zukommt. Ein Ziel von Killians eidesstattlicher Erklärung ist es, die Buchenwalder Hochimmunisationsversuche als völlig unbedenklich und üblich in der klinischen Forschung hinzustellen.
Killian [74] indes reagiert 1947 auf einen Artikel über die Wirkung von Phenol in Seren [75] mit einer eigenen Arbeit zu diesem Thema, in der er von seinen Erfahrungen mit dem phenolhaltigen Gasbrandserum spricht und eine Abkehr von dem Phenol als Konservierungsstoff fordert, wenigstens in den Seren, bei denen eine größere Menge – wie beim Gasbrandserum (50 ccm i.v.) – injiziert werde. Der Phenolzusatz sei historisch bedingt und das Phenol werde in Frankreich zB nicht dem Serum hinzugefügt. [76]
Heutzutage beträgt dieser Wert, wenn überhaupt Phenol zugesetzt wird, 0,25%. Tiervakzine können noch heute einen Phenolzusatz von 0,5% haben. [77] Noch 1970 schreiben Klose und Schallehn von der Möglichkeit, gegen Cl. [Clostridum] novyi [zweithäufigster Vertreter der Gasödembazillen] ein humanes Hyperimmun-Globulin zu entwickeln, wie dies gegen den Wundstarrkrampf (Cl. tetani) gelungen ist. [78]
Eine Sonderrolle nimmt während des 2. Weltkriegs innerhalb der Sowjetunion, speziell Georgiens, die antimikrobielle Therapie mit Bakteriophagen ein, die im Westen weitgehend wegen der Entwicklung der Sulfonamide bzw. des Penicillins und ihrer großtechnischen Produktion in Vergessenheit gerät. Diese Therapieform, die sich die Phageneigenschaft bestimmter Viren zunutze macht, verfolgt einen völlig anderen, biologischen Weg in der Bekämpfung von Bakterien und wird etwa zeitgleich mit der Etablierung des Gasödemserums entwickelt. There were definitely positive reports, of interest to military authorities at the time… Aber: In a postwar, thirty-one-volume magnum opus, The Experience of Soviet Medicine in the Years of the Great Patriotic War, phage therapy for dysentery was described as disappointing; wound phages had better reviews, but sulfa drugs and penicillin were received with far greater enthusiasm. [78a]
In einer 1962 erschienenen Übersichtsarbeit über Infektionen durch Anaerobier beim Menschen spiegelt sich dieser unentschiedene Streit, was die Wirksamkeit der Sulfonamide, speziell des Marfanils, anbelangt.
So far as actual human infections are concerned, the data are rather different and much more difficult to assess … From my own observations in the Middle East I can state … it had no obvious influence on the incidence of gasgangrene… yet it must be added that the numerous reports from other battlefields are equally inconclusive. This question, therefore, is unlikely to be resolved, although it seems, on the whole, that drugs of the sulfonamide series were of little prophylactic value.
Und an anderer Stelle der Übersichtsarbeit: … Indeed it seems to me open to serious doubt whether these drugs [Marfanil, Sulfanilamid, Sulfathiazol, Sulfadiazin] alone had any therapeutic effect at all… [79]
Zudem ist mit dem Aufkommen des Penicillins und seinem Einsatz bei der Gasbrandtherapie ein wirkungsvolles Medikament gefunden worden. Aber selbst bei optimaler Therapie (chirurgische Therapie, Breitbandpenicilline, hyperbare Oxygenierung) [80] hat der fortgeschrittene Gasbrand weiterhin eine hohe Mortalität von 50%. [81]
Deswegen ist die Prophylaxe und der frühestmögliche Beginn der Behandlung so wichtig: Gasbrand ist auch heute noch eine lebensbedrohliche Erkrankung.
Beim Versuch einer Erklärung der so unterschiedlichen Ergebnisse der Wirksamkeit einer Gasbrandbehandlung bei Menschen mit Marfanil- bzw. Sulfadiazin/Gasödemserum muss neben dem unterschiedlichen Vorkommen (v.a. Fraenkel-, Novy-und Pararauschbrandbazillen) und ihrer verschiedenen Empfindlichkeit auf Marfanil berücksichtigt werden: die Einstellung des Untersuchers zu den Sulfonamiden und dem Gasödemserum, die weit streuende Virulenz der Gasbrandbazillen in verschiedenen physiologischen Umgebungen, das Vorliegen symbiotischer Verhältnisse mit anaeroben und aeroben Keimen [82] und die subjektive Erfahrung des Untersuchers mit dem Krankheitsbild, die ihn zu früh, rechtzeitig oder zu spät mit der Prophylaxe bzw. Therapie beginnen lässt. Schon Domagk fragt ähnlich (Eintrag für Januar 1943) : … und es gilt nun die Frage, endgültig zu klären, warum an manchen Stellen überzeugend eindeutige günstige Resultate erzielt werden und an anderen Stellen nicht. [83]
Die während des Krieges heftig geführte Diskussion um die „richtige“ Gasbrandbehandlung verebbt langsam mit Kriegsende – und bleibt weiterhin ungelöst. Am Widerstand, der einer vorurteilsfreien Recherche entgegengebracht wird, wird deutlich, wie lebendig dieses Thema ist. [84] Zudem: in Friedenszeiten besteht kein Interesse an einer letztlichen Klärung, ob Gasödemserum und Marfanil wirkungsvolle Mittel bei der Bekämpfung des Gasbrands sind, [85] so dass man vermuten muss, dass – auch heutzutage – die Toxinbildung und das Bakterienwachstum ab einem frühen Zeitpunkt der Infektion von keinem bisher bekannten Sulfonamid bzw. Antibiotikum und dem Gasödemserum in Schach gehalten und das Infektionsgeschehen beherrscht werden kann.
VI Resümee der Gasbrandbehandlung im Nationalsozialismus
Die Entwicklung und Propagierung einer wirkungsvollen Gasbrandprophylaxe und -therapie im 2. Weltkrieg ist ein gutes Beispiel für das Zusammenspiel von Industrieinteressen und Forderungen vonseiten der Wehrmacht, die durch die schon im 1. Weltkrieg veränderte Kriegsführung dringender werden. Domagks Motivation in diesem Umfeld ist mehrfach bestimmt. Er hat als Freiwilliger im 1. Weltkrieg verstörende Erfahrungen mit an Gasbrand erkrankten, verwundeten Soldaten gesammelt und sich geschworen, in seinem späteren Beruf als Arzt alles dafür zu tun, um dieser Erkrankung ihren Schrecken zu nehmen, auch wenn seine Schätzung maßlos übertrieben ist.
Er hat sich als medizinischer Forscher ein Tätigkeitsfeld in der Industrie gesucht und hat, indem er schon früh „seine“ Sulfonamide der Heeressanitätsinspektion zur klinischen Erprobung anbietet, sich auch als „Vertreter“ seines Konzerns gezeigt, der den angemahnten Forschungsbedarf damit beantwortet, die differierenden Forschungsergebnisse seien Folge davon, dass seine Vorgaben nicht beachtet würden. Seine Eingebundenheit in die Konzerninteressen wird besonders deutlich bei seiner Zurückhaltung der tierexperimentellen Befunde hinsichtlich des hohen Phenolzusatzes des Gasödems, dessen Gefährlichkeit sicherlich bei den hohen verabreichten Dosen gegeben ist. Hier vertritt er die Interessen der I.G. Farben. Seit spätestens Juni 1941 sind ihm die wahrscheinlichen Nebenwirkungen des Phenols im Gasödemserum bekannt.
Domagk mit seiner streng deutsch-nationalen Gesinnung hat keine Probleme damit, mit einer Heeressanitätsinspektion zusammenzuarbeiten, die den nationalsozialistischen Vernichtungskrieg unterstützt, ja, er hat keine Scheu, mit nationalsozialistischen Aktivisten zusammenzuarbeiten. [86] Die Verbindung ‘Heeressanitätsinspektion zur „Abteilung Fleckfieber-und Virusforschung des Hygiene-Instituts der Waffen-SS“’ dürfte ihm auch über seine Zusammenarbeit mit Killian bekannt gewesen sein. Demnitz und Schmidt, Ansprechpartner von Domagk hinsichtlich der Verbesserung des Gasödemserums bei den Behringwerken, korrespondieren ohne irgendeine erkennbare Hemmung mit dem Abteilungsleiter Ding-Schuler, SS-Sturmbannführer im KZ Buchenwald.
Wie sehr Domagk mit diesem Krieg übereinstimmt, zeigen nicht nur seine abfälligen Bemerkungen zu Versailles und zur Weimarer Demokratie, seine Zustimmung zu Hitlers Vorkriegspolitik in dem in den 1960er Jahren geschriebenen „Tagebuch“, seine Anziehung Militärischem gegenüber, sein Kampf, den er zwischen den Weltkriegen zu einem Kampf an der Forschungsfront stilisiert, sondern auch seine Freude, endlich 1942 Stabsarzt geworden zu sein. Wie lange Domagk ns-loyal bleibt, lässt sich mit Hilfe seines sogenannten Tagebuchs nicht entscheiden, andererseits wird seine lange Verbindung, wenn nicht Verbundenheit, [87] an Hand der (bisher bekannten) Ehrungen deutlich, die ihn noch in den beiden letzten Kriegsjahren erreichen: die Ehrenmitgliedschaft des Robert Koch-Institutes (ernannt von Reichsminister und Reichsführer SS Heinrich Himmler Dezember 1943), das Ritterkreuz zum KVK (genehmigt von Hitler, überreicht durch Karl Brandt April 1944), Berufung in den Wissenschaftlichen Beirat von Karl Brandt (Herbst 1943[?]), die Ehrendoktorwürde der Universität Münster (verliehen durch den Rektor der WWU Münster Herbert Siegmund [88] am 30. Januar 1945).
Abb. 12: Hörlein an Brüggemann, IG Farben
Was sich in Domagks Schreiben [89] an Hitler vom 8.11.1939 im Zuge der Nobelpreisverleihung fast wie eine mutige Bitte liest, indem er sich für Medikamente einsetzt, die verwundeten Polen (solchen des Feindes, wie er schreibt) zukommen sollen, ist im Grunde eine Konkretisierung dessen, was Hitler in seiner Danziger Rede großmütig den polnischen Soldaten zuerkennt (…Wir wollen…dem polnischen Soldaten vollkommene Gerechtigkeit widerfahren lassen... [90]). Diese einstündige Rede schickt Domagk im Wortlaut einem nazi-freundlichen schwedischen Kollegen, [91] der sie jedoch, wie er erwidert, bereits gehört hatte.
Abb. 13: Brief vom 8.11.1939, Domagk an Hitler
den 8. Oktober 1939
wohl korrigiert beim Eingang: (Nov)
Mein Führer!
Durch Beschluß des Lehrerkollegiums des Karolinischen Institutes in Stockholm ist mir am 27. Oktober 1939 der Nobelpreis für Medizin und Physiologie verliehen worden. Ich habe davon Seiner Magnifizenz dem Herrn Rektor der Universität Münster i/W Mitteilung gemacht. Da es nach dem deutschen Gesetz meines Wissens dem Beliehenen verboten ist, den Preis anzunehmen, möchte ich – falls dies möglich ist, – darum bitten, den Betrag für die zusätzliche Pflege von deutschen Verwundeten und solchen des Feindes, die in deutsche Hand geraten sind, zur Verfügung stellen zu dürfen resp. zum Ankauf von Heilmitteln wie Salbengrundlagen u.s.w, die aus dem Ausland eingeführt werden müssen. Ich möchte damit meinem Bestreben, in jeder Situation nach bester Überzeugung als Arzt zu handeln und zu helfen, treu bleiben, falls nicht eine andere Regelung im Interesse des Reiches wichtiger ist.
Mit deutschem Gruß!
Hochachtungsvoll
G. Domagk.
Der Verweis, als Arzt zu handeln und zu helfen, darf auch hier in jenem, an Hitler gerichteten Brief nicht fehlen. Dies und die Unabhängigkeit der Wehrmacht vom nationalsozialistischen Staat [92], der man zu dienen habe, gehören zu den beiden Selbsttäuschungen, um nicht zu sagen Lebenslügen, denen Forscher wie Domagk aufgesessen sind. Diese Selbsttäuschungen können deshalb so unverrückbar und unhinterfragbar sein, weil sie auch der Verleugnung dienen, im NS-Staat einer privilegierten Elite angehört zu haben. Es ist ein Irrtum zu glauben, alle Mediziner, die eine hervorgehobene Rolle in der Medizinalbürokratie [93] oder als Lagerärzte, in der Forschung und Lehre oder der Produktion bekleidet hätten und damit involviert – wissentlich oder unwissentlich – in die nazistische Vernichtungspolitik, seien überzeugte Nationalsozialisten: Die Anpassungsbereitschaft konservativer Kreise kann kaum überschätzt werden. Die Mediziner, verstärkt im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, sind anfällig für Antisemitismus und für rassistisches Denken. Beides wird im Nationalsozialismus Staatsräson – ohne dass solche Mediziner ausgewiesene Nationalsozialisten sein müssten. Oder anders ausgedrückt: Ohne der Partei anzugehören, sogar erwiesenermaßen ablehnend dem Nationalsozialismus gegenüberstehend [94] [95], können diese Mediziner in die Verhältnisse des nationalsozialistischen Staates eingebunden sein und so für sein Funktionieren und seine Stabilität sorgen. [96]
Sie alle treffen sich in dem Wunsch, zu helfen und zu heilen. Aber nicht allen. Dass damit „deutsches Leben“ gemeint ist – nur das ist „lebenswert“, vorgedacht in den „wissenschaftlichen“ Untersuchungen zur Rassenhygiene mit der Politischen Biologie, [97] ist oft Folge einer unmerklichen Anpassung an das in der Gesellschaft vorhandene und geförderte rassistische [98] Gedankengut, die auch deshalb geleistet wird, weil man nicht aus der Volksgemeinschaft ausgestoßen werden will. Die Vernichtung “unwerten” Lebens wird von den meisten „übersehen“, billigend in Kauf genommen oder ist gar gewollt. [99] Die Infektion des Größenwahns ist allgegenwärtig, das Denken und Fühlen der Deutschen zerstörend.
1951 wird in einem längeren Artikel über Domagk von seiner naiven Weltsicht am Schluss geschrieben und er wird mit den Worten zitiert: aus der Tagespolitik möchte er sich möglichst heraushalten. Er denke als Wissenschaftler in größeren Dimensionen als die Politiker… Dies ist so nur zu behaupten, wenn seine unbedingte Loyalität zum nationalsozialistischen Deutschland ausgeblendet wird. Dies ist bislang erfolgreich gelungen, auch wenn sein „Tagebuch“ einen anderen Domagk zeigt. [100] Domagk hatte “Glück”, als Industrieforscher und uk. gestellt, für bestimmte Aufgaben nicht in Frage zu kommen.