Domagks Nobelpreis (2025)

Hier wird eine von der bis jetzt gängigen Sichtweise abweichende Version vorgestellt, wie es zur Ablehnung des Nobelpreises durch Domagk kommt. Gestützt wird diese Version dadurch, dass der „Fall“ Domagk bereits abgeschlossen ist und erst durch die Bekanntgabe zweier weiterer deutscher Nobelpreisträger wieder auflebt und zusammen mit diesen nun auf höchster Ebene beschieden wird. Die zeitliche Abfolge der Ereignisse von Ende Oktober bis Ende November 1939 bestätigt diese Argumentation. Die jetzige Version baut auf der 2016 und 2020 veröffentlichen auf und nimmt lediglich geringfügige Korrekturen und einige Ergänzungen vor[1].

 

Der Nobelpreisverleihung vorausgegangen sind die Bemühungen Hans Euler-Chelpins (1873-1964)[2] und Folke Henschens (1881-1977)[3], eine Annahme des Nobelpreises trotz Hitlers Verbot, das ab 1937 Reichsdeutschen die Annahme eines Nobelpreises untersagt, zu  ermöglichen.[4] Euler versucht Ende 1936/Anfang 1937 das Verbot zu verhindern, Henschen 1939 bei Göring vergeblich eine Ausnahme zu erreichen. Beide sind Mitglieder in den verschiedenen Nobelkomitees.

 

Ende 1932 entdeckt Domagk nach vielen vergeblichen Versuchen die antimikrobielle Wirksamkeit der später Prontosil genannten Substanz, einem Sulfonamid. Die Bayer-Chemiker Fritz Mietzsch (1896-1958) und Josef Klarer (1898-1953) synthetisieren, einen Rat Heinrich Hörleins (1882-1954) aufnehmend, schließlich das wirkungsvolle Sulfonamid. 1935 veröffentlichen Domagk, Mietzsch und Klarer und Philipp Klee (1884-1978) nach klinischen Studien ihre Ergebnisse zu dem neuen Medikament.

 

1938 schlagen Pierre Mazé (1868-1947) vom Pasteur-Institut und George Raiziss (1884-1945) Domagk für den Nobelpreis vor. Letzterer ist ein amerikanischer Forschungsdirektor und Professor für Chemotherapie. Gleichzeitig nominiert er, Raiziss, Jaques Tréfouël (1897-1977) und Federico Nitti (1903-1947),[5] die die antimikrobielle Substanz Sulfanilamid als Wirksubstanz der Sulfonamide 1935 entdecken. 1939 schlägt Arthur Duncan Gardner (1884-1977),[6] ein britischer Bakteriologe und Penicillinforscher, Domagk für seine Entdeckung der antibakteriellen Eigenschaft von Prontosil vor.[7]

 

Am 29.10.1939 bedankt sich Domagk, der offiziell in der Nacht zum 27.10. von der Nobelpreis-Ehrung erfährt, bei seinem schwedischen, ihm schon lange bekannten Kollegen Henschen, der sich als Mitglied des medizinischen Nobelkomitees sehr für die Verleihung des Nobelpreises an ihn eingesetzt hatte. Dieser Brief wird in Stockholm aufbewahrt. Als einzigen Brief von Domagks Korrespondenz mit Henschen findet sich (neben  vielen anderen) ein Brief Henschens an Domagk vom  21.10.1939 bei der Gestapo-Akte. In diesem Brief  bedankt sich Henschen für die zugesandte „Führerrede“, eine Rede, die Hitler nach dem Überfall auf Polen am 19.9.1939 in Danzig gehalten hatte, die ihm bereits bekannt gewesen sei, wie er bemerkt.[8]

 

Überhaupt bemüht sich Domagk bei seiner Vernehmung vom 18.11., nach seiner Verhaftung durch die Gestapo, sein Verhältnis zu dem Schweden Henschen kleinzureden. Den lebhaften Briefwechsel zwischen ihnen erwähnt er nicht. Schon zuvor, am 27.10., als er Domagk gratuliert, hatte Henschen in einem Brief die Vermutung geäußert, seine frühere Bitte um ein Bild Domagks habe ihn, Domagk, die bevorstehende Nobelpreisehrung erahnen lassen.

 

Zentral für die Beurteilung von Domagks Haltung zum Nationalsozialismus ist  seine Verhaftung (die Nazis nennen es Ehrenhaft[9]) am 17.11.1939, drei Wo­chen nach der Bekanntgabe am 26.10. von Domagk als Nobelpreisträger geworden. Allein die Tatsache der Verhaftung durch die Gestapo und die Stilisierung seiner Haft als fast einwöchige Gestapohaft machen lange Zeit kritisches Nachfra­gen über­flüssig. Als Begründung für die Verhaftung wird gemeinhin ange­führt, Domagk habe zu höflich nach Schweden [dem Rektor des Karolinischen Institu­tes in Stockholm, D.S.] geantwortet. Tatsächlich bedankt er sich  in einem Brief vom 3.11. für die Ehrung, aber zugleich weist er auf das Verbot hin und bit­tet um Zeit, um sich die genauen Unterlagen des Gesetzes zu besorgen. (Er hofft wohl, dass ein Unterschied zwischen einem Friedens-Nobelpreis und einem Medizin- Nobelpreis gemacht wird.) Dass er wie vorgesehen Anfang Dezember nach Stockholm  kommen könne, könne er noch nicht angeben, betont er weiterhin. Zu­vor macht er Ende Oktober sowohl dem Reichs­erziehungsministerium (REM), dem Rektor Mevius[10], der Medizinischen Fakultät wie auch seinen Vorgesetzten bei Bayer AG Mitteilung von seiner Nobelpreisehr­ung, vor allem er­bittet er Verhal­tensregeln wegen des Verbotes – auf die er ver­geblich bis zum 20.11. wartet.[11]

 

Am 7. November informiert das Auswärtige Amt (AA) in einem Schnellbrief die  Reichskanzlei, das REM und das Propagandaministerium, dass beschlossen wurde, Domagk solle von sich aus mit dem Nobel-Komitee nicht in Verbindung treten, sondern dass dem Gelehrten nahegelegt wird, dies der Deutschen Gesandtschaft in Stockholm zu überlassen. Falls ich bis zum 8.d.M. keine gegenteilige Mitteilung erhalte, so endet der Brief, nehme ich das dortige Einverständnis …  an.  Die Reichskanzlei meldet keinen Widerspruch. Dass jedoch ein entsprechender Brief des AA am 9.11., dem Tag der Bekanntgabe der beiden Chemie-Nobelpreisträger Kuhn und Butenandt, oder später an Do­magk verschickt wird, ist nicht verzeichnet.

 

Domagk, in der Ungewissheit, wie er sich verhalten solle, wendet sich am 8. November direkt an Hitler. Es ist anzunehmen, dass er von den Absichten im AA erfahren hat, die weitere Initiative der Gesandtschaft in Stockholm zu überlassen (die zeitliche Übereinstimmung legt dies nahe). Er sucht indirekt die Annahme des Nobelpreises zu erreichen, in­dem er Hitler bittet, sein Preisgeld spenden zu dür­fen, aber auch einer anderen Rege­lung werde er nicht im Wege stehen. Aller­dings er­wähnt er hierbei nicht seine Antwort nach Stockholm.[12] Das Schreiben des AA vom 7.11. zusammen mit Do­magks Brief an Hitler vom 8.11. veranlasst die Reichskanzlei am 13.11. zu ei­nem Schrei­ben an das AA,  in dem angenommen wird, dass die Angele­genheit (Domagks Verhalten in Sachen Nobelpreis, DS) be­reits erle­digt ist.[13]

 

Die Bekanntgabe der Nobelpreisträger für Chemie am 9.11. (für die Jahre 1938 und 1939) an die beiden Leiter der Kai­ser-Wilhelm-Institute (KWI), Kuhn und Butenandt neben dem Schweizer Ružička bringt die Thematik erneut zur Ent­scheidung.

 

Das Schreiben Domagks vom 8.11. an Hitler erreicht das AA am 14.11. über die Reichskanzlei. In dem nur noch vorhandenen Eingangsjournal wird ein einziges Schreiben von Domagk vom 14.11. an das AA mit dem „Betreff: No­belpreis“ aufgeführt; um jenes Schreiben (Domagks Brief an Hitler) dürfte es sich dabei wahrscheinlich gehandelt haben. Zusammen mit der Bekanntgabe der zwei weiteren deut­schen Preisträger am 9.11. wird der Brief des AA an Domagk, der eigentlich in den Tagen nach dem 8.11., als ein Einspruch von Reichskanzlei, REM und Propagandaministerium ausbleibt, hätte aus dem AA herausgehen müssen, wohl storniert. Zumindest ist ein solcher nicht auffindbar; auch in der Gestapoakte sucht man vergebens. (Domagks Verhalten während seiner Vernehmung in der Haft spricht gegen die Existenz eines solchen Briefs des AA.[14]) Stattdessen beauftragt das AA (im Auftrag von v. Ribbentrop) den deutschen Gesandten in Stockholm in einem Telegramm kurz nach Mitternacht des 16.11. vorsichtig zu sondieren, ob es möglich sei, dass die drei (fett von DS) Geehrten den Preis zwar formell annehmen, ihn dann aber schwedischen Nationalsozialisten zur Verfügung stellen. Das wäre eine Variation des Domagkschen Spendenverschlags: am 14.11. war der Brief Domagks an Hitler im AA über die Reichskanzlei angekommen. Die im Gegensatz zu den tatsächlichen Schreiben an das AA noch vorhandenen Konzepte der Deut­schen Gesandschaft in Stockholm vom 31.10., 13. und 15.11. sind in ihrem Tenor durchaus offen und haben vielleicht dazu beigetra­gen, die Initiative im Auftrag Ribbentrops zu starten.[15]

 

Man kann vermuten, dass der Generalsekretär der KWG, das NSDAP-Mitglied Ernst Telschow (1889-1988), bestens vernetzt und einflussreich, den – wie sich bald zeigen wird – kurzfristigen Stimmungsumschwung bewirkt, indem er sich für die Nobelpreisannahme durch die beiden KWI-Direktoren Butenandt und Kuhn einsetzt.

 

Offenbar bestand die Absicht, Hitler über eine  Ausnah­meregelung entscheiden zu lassen. Hörlein, Domagks Vorgesetzter bei Bayer und Senator der KWG schreibt am 15.11. an Kuhn, er hoffe, dass sich ein Weg finde, der trotz des Verbotes die Preisannahme ermög­liche – zwei Tage vor Domagks Verhaftung. Hingegen schreibt Butenandt an seine Eltern, ihm sei am 16.11. zuge­tragen worden, dass die Regierung die Nobelpreisvergabe als eine unverschämte Herausforderung Deutschlands betrachte.[16]

 

Butenandt und Kuhn werden am 17. bzw. 18.11. angewiesen, noch keine Zusa­gen nach

Stockholm zu geben, weil die Nobelpreisannahme der allerhöchsten Ent­scheidung unterliege, die bald falle. Hierüber hat das REM am 17.11. die Geschäftsleitung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft informiert. Eine gleichlautende Mitteilung erreicht am  18.11. das Rek­torat der Universität Münster, ein Domagk bezügliches Schreiben. Diesen Brief, der am 20.11. bei Domagks Adresse ankommt, liefert Frau Domagk sofort in der Gestapo-Außenstelle Wuppertal ab, in der ihr Mann seit Freitagnacht, dem 17.11.1939  in Haft ist.

 

Es lässt sich rekonstruieren – leider sind keine Unterlagen hierzu auffindbar – , dass die Entscheidung sehr schnell am  Abend des 17.11. gefal­len ist. Domagk wird um 22.15 Uhr verhaftet. An die Gesandtschaft in Stockholm ergeht um 2.40 Uhr des 18.11. ein Telegramm. Der Gesandte wird von v. Ribbentrop gebeten, den schwedischen Außenminister sofort aufzusuchen und ihm ein Aide-Memoire zu übergeben, in dem die Nobelpreisverleihung an die 3 Deutschen als „unfreundli­che Handlung“ Schwedens bezeichnet wird. „Nach Auffassung der Deutschen Re­gierung stellt unter den gegebenen Umständen die Verleihung des Nobelpreises an drei deutsche Gelehrte, den Versuch dar,  Deut­sche gegen einen Befehl ihres Füh­rers und damit zum Verrat ihres Deutschtums zu verleiten“. Um dem Ganzen Nachdruck zu verleihen, wird der Gesandte zur Be­richterstattung nach Berlin zu­rückgerufen.

 

In Domagks Entnazifizierungsakten und in seinem Vernehmungsprotokoll vom 18.11.1939 findet sich ein Hinweis, dass er in einem Te­lefonat des AAs aufgefor­dert wird, Abschriften meiner nach Schweden gesand­ten Dankschreiben … um­gehend einzureichen. Dieses Telefonat habe nach Domagks Angaben am 14./15.11.1939 stattgefunden; da war sein Schreiben an Hitler im  AA bekannt. Die angeforderten Unterlagen habe er umgehend verschickt. Das würde auch das Fehlen von Domagks Brief nach Stockholm, d.i. der ‘zu freundliche Brief’, und die Dankesbriefe an Nanna Svartz und Folke Henschen in der Gestapoakte erklären: Sie werden an das AA geschickt.[17]

 

Generell lässt sich sagen, dass die Gestapo im Zuge von Domagks Verhaftung wohl nicht in den Besitz der beiden Briefe, den nach Stockholm vom 3.11. und den an Hitler vom 8.11. gelangt ist und die deshalb nicht im kopierten Anhang der Gestapoakte aufgeführt sind, in dem die Korrespondenz Domagks vor und nach der Nobelpreisehrung enthalten ist. So ist zu verstehen, dass Domagk hinsichtlich Datum und Inhalt seines Briefes an Hitler unzutreffende Aussagen macht und machen kann – verständlicherweise wegen der Ausnahmesituation.

 

Am 22.11. – Domagk wird am 21.11. aus der Haft entlassen – teilt der Chef der Sicherheitspolizei und des SD Reinhard Heydrich (1904-1942) dem AA mit, wohl eine offizielle Sprach­regelung, Domagk sei auf Anordnung des Führers festgenommen und entlassen worden, weil er durch sein illoyales Verhalten die Interessen des Deutschen Rei­ches nicht in der erforderlichen Form gewahrt habe. Er wurde darauf hingewie­sen, dass seine grossen wissenschaftli­chen Leistungen vielmehr im In- als im Aus­land anerkannt werden, dass er jedoch die nötige politische Zurückhaltung nach der Verleihung des Nobelpreises habe vermissen lassen. Wohl eine nachgescho­bene Erklärung, um die affektgesteuerte Anordnung Hitlers zu kaschieren.[18]

 

Gerade zu Beginn des Zweiten Weltkriegs und so schnell nach Ossietzkys Tod ist  bei Hitler keine „Ausnahmeregelung“ zu erwarten.[19] Domagk gibt am Ende der Ausführungen zu seiner Verhaftung in der Entnazifizierungsakte eine Erklä­rung für seine Verhaftung. Er erwähnt einen Prof. Wirtz, der ein großes Ansehen in der Partei genoß. Dieser habe ihm während des Krieges berichtet, dass Hitler – äußerst erregt über die Preis­verleihung – seine ärztliche Entourage nach Do­magk gefragt habe. Dieser sei ihnen je­doch unbekannt gewesen, worauf Hitler we­gen verbotene(r) internationale(r) Bezie­hungen Domagks Verhaftung angeordnet habe.[20] Er berichtet dieses Gespräch mit Wir(t)z, so scheint es, weniger um die Umstände der Verhaftung zu erhellen, sondern um zu versichern, dass er mehrmals das An­gebot des einflussreichen Nazi abgelehnt habe, das ihm geschehe­ne Unrecht wie­der gutzumachen.

 

Diese Angaben sind stimmig mit einem Schreiben des AA vom 8.12. an die Reichskanzlei. …, weil die weitere Behandlung der Angelegenheit weitgehend vom Führer und Reichskanzler selbst übernommen worden war, beginnt der Brief und endet lapidar: Die drei Professoren sind dieser Weisung [Verweigerung der Nobelpreisannahme mit dem Ausdruck des Befremdens, DS] nachgekom­men.[21]

 

Gemeinhin wird als Grund für die Verhaftung angeführt, er habe sich zu freund­lich für die Nobelpreisverleihung bedankt. Das illoyale Verhalten, das ihm vor­geworfen wird, scheint als Begründung die spontane, aus einem heftigen Affekt entstandene Aktion Hitlers zu verdecken. So konnte sich der ‘zu freundliche Dank’, der anscheinend unter den Begriff der IlIoyalität fällt, als Begründung durchsetzen. Die Wirz in den Mund gelegte Aussage, niemand von den Ärzten in Hitlers Umgebung habe Domagk gekannt, ist nicht unplausibel. Butenandt und Kuhn – um diese ging es auch – waren als Direktoren berühmter Kaiser-Wilhelm-Institute weitaus bekann­ter als der Forscher Domagk, angestellt bei I.G. Farben. Diese Aussage Wirz’ verletzt Domagks Eitelkeit: Ein Grund mehr, sich den ‘zu freundlichen Dank’ als Be­gründung zu eigen zu machen.[22]

 

In Domagks Universitäts-Personalakte findet sich von der Verhaftung am 17. Nov. keine Überlieferung. Nur von einem Gespräch des Rektors mit dem Chef des Am­tes Wissenschaft im REM in Ber­lin gibt es eine Aktennotiz, nachdem Domagk am 23.11. einen vorgefertigten Brief hatte unterschreiben müssen, in dem er den No­belpreis zurückweist:[23]

 

12.12.1939

Aktennotiz über Berliner Reise (8.-11.12.1939) [des Rektors, D.S.]

Besprechung mit Prof. Menzel. „In Sonderheit habe ich die Angelegenheit des Prof. Domagk besprochen. Die Lage ist so, dass z.Zt. aus aussenpolitischen Grün­den nichts unter­nommen werden kann, um Prof. Domagk herauszustellen. Prof. Menzel will aber, sobald die Möglichkeit dazu besteht, sich für Prof. D. einsetzen, damit ihm eine Entschädigung zuteil wird. Er ist der Ansicht, dass jetzt die Freun­de des Prof. D. diesem zu verstehen ge­ben müssen, dass er auf seine Stunde noch warten muss, dass diese aber bestimmt kom­men würde.

 

Das liest sich so, als sei Domagk Opfer außenpolitischer Verwicklungen geworden und weniger wegen seines Briefes nach Stockholm festgenommen worden. Man werde sich, wenn es die Umstände zulassen, für seine angemessene Ehrung einset­zen: Verfasser des Eintrags ist der aktive(r) Nationalsozialist, Rektor Mevius.[24] Sein Gesprächspartner ist Prof. Men(t)zel, Angehöriger der ‘Alten Garde’, Prä­sident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, späterer SS-Brigadeführer.[25]

 

Aus dem Ministerium in Berlin (Prof. Mentzel) wurde mir versichert, kommen­tiert Domagk in seinen Erinnerungen das Verbot der Nobelpreisannahme, dass man mir ein Äquivalent für den Verzicht auf den Nobelpreis geben wolle. Man habe erwogen, die I.G. zu veranlassen, die Summe des Nobelpreises zu erstat­ten, einen Prof. honoris causa usw.[26]

 

Warum werden die drei Nobelpreisträger Domagk, Butenandt  und Kuhn nach dem Krieg so unterschiedlich vom Nobelpreis-Komitee behandelt, wobei ihre vorformulierten Ablehnungsschreiben recht ähnlich sind?[27] Nur Domagk bekommt 1947 eine ehrenvolle Einladung nach Stockholm, um seine Medaille aus den Händen des Königs zu empfangen. Kuhn disqualifiziert sich durch den handschriftlichen Zusatz unter den erzwungenen Ablehnungsbrief (Des Führers Wille ist mir Befehl) und macht damit keinen Hehl aus seiner Nazi-Nähe, sei es Opportunismus oder sei es Überzeugung. Butenandt  als NSDAP-Mitglied und mit unklarer Beteiligung am NS-Regime (Stand 1946/47) kann nicht auf die Unterstützung seines schwedischen Förderers Euler-Chelpin in Stockholm hoffen, da dieser selbst wegen zu großer Nähe zum faschistischen Deutschland nicht mehr so einflussreich ist. Domagk besitzt hingegen mit Nanna Svartz und Folke Henschen gewichtige Fürsprecher in Schweden. Außerdem ist er für das Nobel-Komitee wegen der fehlenden Parteimitgliedschaft und der Gestapohaft nicht nur unverdächtig, sondern er drückt – als er dies noch konnte – Dank und Freude wegen der Nobelpreisverleihung aus. Kuhn und Butenandt ist dies verboten, sofern man Butenandts Bemerkung nach dem Krieg hierzu glaubt. Und vor allem: Domagk hat die Nordwestdeutsche Ärztekammer 1947 hinter sich, die sich für seine nachträgliche Ehrung einsetzt.[28]

 

Henschein berichtet in seinen, in den 1950er Jahren geschriebenen Erinnerungen von insgesamt drei Dankesbriefen von Domagk: an den Rektor des Karolinska Instituts, an Nanna Svartz (1890-1986),[29] die Domagks Arbeiten begutachtet hatte, und an sich. Auch weiß er aufgrund seiner Besuche in der damaligen Zeit von Deutschland zu berichten, dass die Kollegen sich geschämt hätten wegen Domagks Behandlung in der Nobelpreis-Angelegenheit. Er habe damals gehört, dass nur ein handschriftliches Schreiben des schwedischen Königs an den Führer eine Änderung bewirken könne.[30]

 

 

Die Frage, die sich aufdrängt: Warum führt die Verhaftung durch die Gestapo in der Nacht des 17.11.1939 nicht zu einem Sinneswandel Domagks? Jedenfalls gibt es hierfür keine Anhaltspunkte. Bei der Durchsuchung seiner Korrespondenz im Zusammenhang mit der Nobelpreis-Verleihung findet die Gestapo kein belastendes Material, wie könnte es auch sein. Domagk ist bis zu diesem Zeitpunkt, so in seinen Erinnerungen, ein überzeugter Deutsch-Nationaler und Hitler-Bewunderer.  Er scheint von Hitlers Überfall auf und „Blitz“sieg über Polen so angetan zu sein, dass er Hitlers Rede in Danzig im Wortlaut an seinen Kollegen Henschen nach Schweden schickt. Auch in seinem Schreiben vom 8.11.1939 überlässt er – ganz „Volksgenosse“ – letztlich Hitler, wie mit der Nobelpreis-Verleihung zu verfahren sei. Ebenso ist seine zusätzliche persönliche Erklärung zu  verstehen, die er sich am Ende der Haft ausbedingt: Er habe Hitler mit dem Brief eine Freude machen wollen und ihm jegliche Illoyalität, die ihm vorgeworfen wird, fern.  Auch wenn man berücksichtigt, dass sich Domagk nach dem 17.11.1939 in einer extrem belastenden Situation befindet, so ist in seiner Haltung zum Nationalsozialismus vor und während der Haftzeit und auch danach kein erkennbarer Unterschied auszumachen. Wie lange dieses ‘Danach’ andauert, bleibt offen, da auch hier keine persönlichen Notizen von Domagk aus den letzten Kriegsjahren vorliegen.[31] Auf jeden Fall ist er bis zum Schluss als Industrieforscher und Angehöriger der medizinischen Fakultät Münster in hohem Ausmaß loyal zum NS-Staat,[32] vielleicht auch, so möchte man meinen, wegen seiner Haftzeit: der angedrohte Ausschluss aus der „Volksgemeinschaft“ dürfte ihn stark geängstigt haben. Er scheint das Willkürregime des nationalsozialistischen  Staates  nicht für seine Verhaftung verantwortlich zu machen. Stattdessen klagt er die Untätigkeit seiner Vorgesetzten an. Möglicherweise gibt er dem Neid und der Missgunst von Kollegen die Schuld, von denen er berichtet.[33] Die Verhaftung hat seinem Werdegang bis 1945 nicht geschadet, bereits zu Beginn 1940 wird ihm, wie gewohnt, seine Reisetätigkeit ins Ausland gestattet. Es scheint allen klar zu sein, ohne es auszusprechen, dass Domagk Opfer von Hitlers Impulsivität geworden ist und der Vorwurf der Illoyalität der Gesichtswahrung Hitlers dient.

 

Nach dem Krieg steht die Inhaftierung als Beweis seiner mangelnden Loyalität gegenüber dem NS-Staat ganz im Vordergrund, nur jetzt heißt es ‘Opposition’ zum NS-Staat. Domagk bedient sich hier der nationalsozialistischen Argumentation und spitzt diese noch zu, indem er behauptet, er und seine Familie seien unter Beobachtung gewesen und diese hätte ihn zur Vorsicht veranlasst:[34] Der Beginn einer Legendenbildung, die Domagk selbst angestoßen hat und die solange aufrecht erhalten wird, wie Domagks tatsächliche Rolle im „3. Reich“ unbekannt bleibt.

 

Domagk ist, was die sog. Entnazifizierung angeht, beileibe keine Ausnahme. Man wird ihm zugute halten können, dass auch sein Arbeitgeber, die spätere Bayer AG, kein Interesse zeigt, die Zusammenarbeit mit dem NS-Staat aufzuklären. Somit bedingen und ergänzen sich die mangelnde Bereitschaft zur Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte, die Domagks Mythenbildung erst möglich gemacht haben.

 

Domagks Entnazifizierung ist vielsagendes Beispiel dafür, wie wenig verantwortungsbereit für das Geschehen von 1933-1945 sich selbst diejenigen zeigen, die als Teil der ärztlichen Elite für NS-Deutschland Verantwortung tragen und jahrelang Nutznießer des NS-Systems sind. Domagk ‘beugt’ allen diesbezüglichen Fragen ‘vor’, indem er sein ganzes Handeln ausschließlich einer Zusammenarbeit mit dem deutschen Militär zurechnet: Er ordnet es dem „Eid des Hippokrates“ unter.[35] Dass das deutsche Militär seit Ende Juni 1934, dem lange Zeit im NS-Jargon genannten Röhm-Putsch, zum Komplizen des Nationalsozialismus wird, wird hartnäckig verschwiegen bzw. nicht realisiert. Das tatsächliche oder vermeintliche „Überwintern“ mancher Deutschen im Militär, wie der innere Rückzug vor der nationalsozialistischen Realität genannt wird, hat der Sicht einer Unabhängigkeit des Militärs Vorschub geleistet. Die Aussicht auf Deutschlands Größe und Macht lässt Deutschlands Eliten loyal zum nationalsozialistischen Staat sein und gefangen in dessen Propaganda bis zum Schluss bleiben, die ganze Destruktivität mittragend. Nach dem gewaltsamen Aufwachen aus dem gesellschaftlichen Wahn übernimmt kaum jemand individuelle Verantwortung. Verantwortung zeigen oder wie es heißt: „Vergangenheitsbewältigung“, geschieht von Oben, ist eine staatliche Aufgabe: Sie bleibt eine staatliche Aufgabe. Ohne tragendes Fundament. Das Fundament ist instabil:  Domagks Geschichte von sich als Opfer und Verfolgter des NS-Regimes, die ‘Karriere’ und der Erfolg dieser Sichtweise ist exemplarisch und keineswegs ungewöhnlich.[36] Nur: In der heutigen Zeit ist es schwer, die Fälschungen, Verleugnungen, Schönfärbereien, Verdrehungen, Lebenslügen, ‘Rechtfertigungen’, die als solche gar nicht (mehr) erkannt werden und die das Fundament der staatlich angeordneten ‘Vergangenheitsbewältigung’ bilden, einzufangen und einzuhegen.[37] Längst hat das Gift der Verschwörungstheorien, die im Kleinen die Grundlage der ‘Rechtfertigung’ der loyalen Deutschen in NS-Deutschland nach dem Krieg ist, heutzutage  – und dies ist einer der Gründe – die Allgemeinheit erreicht. Angefangen hat es mit solcher ‘Korrektur’ wie sie viele Deutsche, und eben auch Domagk, in ihrem Lebenslauf vornehmen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

[1]Detlev Stummeyer: Domagk 1937-1951 – Im Schatten des Nationalsozialismus, Berlin Springer, 2020, Kapitel Die Nobelpreisehrung, S. 47-62 und ders. (2016) Domagk, der Nobelpreis und das NS-System in: Domagk nur ein deutscher Patriot, https://gerhard-domagk-ein-mythos.de/.

[2]Chemieprofessor in Stockholm, Nobelpreisträger 1929. 1938 Mitglied in der Reichsvereinigung Schweden-Deutschland, einer nazi-freundlichen Vereinigung, der auch Henschen angehört. Träger der Goethe-Medaille 1943.

[3]Anatomieprofessor in Stockholm, Domagk lange bekannt. Nils Hansson bezieht sich auf eine Liste mit prodeutschen Schweden der Deutschen Gesandts+chaft in Stockholm, wenn er schreibt, dass Henschen zu den zuverlässigsten schwedischen Nationalsozialisten zähle. Hansson N (2015) Begeisterung – Skepsis – Distanz: Schwedisch-deutsche Verbindungen in der Medizin 1933 bis 1945. In: Dirk Alvermann [Hg.], „… Die letzten Schranken fallen lassen“, Böhlau, Köln, S. 351–369, hier S. 362.

[4]Almgren B (2017) Der Nobelpreis – ehrenvolle wissenschaftliche Auszeichnung oder unfreundlicher Akt? Wissenschaft zwischen Integrität und Anpassung. In: It’s Dynamite! Der Nobelpreis im Wandel der Zeit. Cuvillier, Göttingen 2017, S. 27–37, hier S. 27 ff.

[5]Tréfouel und besonders Nitti arbeiten in ihrem Labor im Pasteur-Institut im Untergrund für die Résistance. Nitti wird dafür 1945 geehrt. 1946 wird er mit der Legion of Honor for the discovery of sulfonamides ausgezeichnet  (https://www.pasteur.fr/en/institut-pasteur/history/federico-nitti-researcher-and-resistance-fighter, zugegriffen 3.10.2024).

[6]https://www.bionity.com/en/encyclopedia/A._D._Gardner.html, zugegriffen 3.10.2024.

[7]https://www.nobelprize.org/prizes/medicine/1939/domagk/nominations/, zugegriffen 3.10.2024.

[8]Hagströmerbiblioteket Stockholm, Brief vom 29.10.1939, Domagk an Henschen (vgl. https://gerhard-domagk-ein-mythos.de/links-dokumente/).

LA NRW, Abteilung Rheinland RW 58 Nr. 14040, Brief vom 21.10.1939, Henschen an Domagk,  beigefügte Kopien.

[9]Bayer AG [Hrsg] (1995) Gerhard Domagk (1895–1964). (Gekürzte, DS) Lebenserinnerungen in Bildern und Texten. Köln, hier S. 35. Domagk spricht in seinen Erinnerungen  (Domagk G (o. J.) Lebenserinnerungen (unveröffentlichtes Manuskript), S. 237 [BAL (Bayer-Archiv-Leverkusen) 271–2. Wenn nicht anders angegeben, wird aus Bd. I zitiert.]) von einer „mehrere Tage“ währenden Haft (S. 132). Tatsächlich dauert sie etwa 3½ Tage. In seinen Erinnerungen nimmt sie ½ Seite Raum ein; nur selten kommt er auf sie zurück. Selbst Bovet, der Domagk anfangs einen strammen Deutschnationalen nennt, spricht von einer etwa 10tägigen Haft. Nach dem Krieg habe er sich zum Pazifisten gewandelt, so Bovet (Daniel Bovet, Une chimie, qui guérit, Paris 1988, hier S. 147).

Domagks Lebenserinnerungen sind von ihm Anfang der 1960er Jahre zusammengestellt worden. Sie bestehen zT aus Manuskripten aus früheren Jahren, die teils unverändert übernommen, teils mit Korrekturen wohl aus der Zeit der Zusammenstellung versehen worden. Besonders bei dem Bericht über die Entwicklung der Thiosemikarbazone 1941-1944, der wahrscheinlich unter Zuhilfenahme von  verschiedenen Unterlagen verfasst wurde, merkt man, dass Domagk andere Gesichtspunkte geleitet haben, als ein Tagebuch zu schreiben, wie sein Biograf Grundmann behauptet. Unglaubwürdig – sie ist ex-post, er ist quasi unbeteiligt –   ist seine Abrechnung mit dem Nationalsozialismus, zu lange war er loyal. Weiter s. das Kapitel Das ominöse Tagebuch aus Detlev Stummeyer: Domagk 1937-1951 – Im Schatten des Nationalsozialismus, Berlin Springer, 2020, S. 1-6.

[10]Dieser informiert am 28.10.1939 das Auswärtige Amt (BA R 43-II/910b, Abschrift Kult. Gen. 1703).

[11]Grundmann E (2001) Gerhard Domagk – Der erste Sieger über die Infektionskrankheiten. LIT, Münster, hier S. 82–88. Lesch, John E.: The First Miracle Drugs: How the Sulfa Drugs Transfor­med Medicine, Oxford 2007, hier 100–103..                                                                                                             Domagks Dankschreiben geht an den Rektor des Karolinska Institut Gunnar Holmgren (1875-1954), berühmter HNO-Arzt. Er, neben Euler, Butenandt u.a., gehört zu den Vortragenden des Ärztekongresses  in  Berlin Ende November/Anfang Dezember, dessen Besuch Domagk, der auch einen Vortrag halten wollte, verboten wurde.

[12]Im Wortlaut (BA R 43-II/910b, Bl. 51): Mein Führer! Durch Beschluß des Lehrerkolle­giums des Karolinischen Intitutes in Stockholm ist mir am 27. Oktober 1939 der Nobel­preis für Medizin und Physiologie verliehen worden. Ich habe davon Seiner Magnifizenz dem Herrn Rektor der Universität Münster i/W Mitteilung ge­macht. Da es nach dem deutschen Gesetz meines Wissens dem Beliehenen verboten ist, den Preis anzu­nehmen, möchte ich – falls dies möglich ist, – darum bitten, den Betrag für die zusätzlic­he Pflege von deut­schen Verwundeten und solchen des Feindes, die in deutsche Hand ge­raten sind, zur Ver­fügung stellen zu dürfen resp. zum Ankauf von Heilmit­teln wie Salben­grundlagen u.s.w, die aus dem Ausland eingeführt werden müssen. Ich möchte, da­mit mei­nem Bestre­ben, in jeder Situation nach bester Überzeugung als Arzt zu handeln und zu hel­fen, treu bleiben, falls nicht eine andere Regelung im Interesse des Reiches wichti­ger ist.

     Mit deutschem Gruß! Hochachtungsvoll

  1. Domagk.

Dieser Brief ist zum ersten Mal in Alfred Neubauer, Bittere Nobelpreise, Norderstedt 2011, hier Pos. 449 (eBook), veröffentlicht worden. Hier ist auch eine detaillierte chrono­logische Aufstellung zu finden. Der Vorgang, der zur Verhaftung führt, wird dort anders als hier dargestellt. Neubauers  (Pos. 443) Beschreibung, warum dieser Brief geschrieben wird: Gerhard Domagk kommt…auf die Idee…, ist wenig einfallsreich.

[13]BA R 43-II/910b, Bl 50 und 52. Der Chef der Reichskanzlei Lammers ist einverstanden. Nicht desto weniger bittet die Reichskanzlei das AA in weiteren Schreiben vom 27.11. und 11.12.1939 um Mitteilung, wie auf Domagks Brief an Hitler rea­giert werden soll (Bl.53 und 54). Hierauf abschließend antwortet das AA am 8.12.1939 (Bl.. 55).

[14]Domagk erwähnt mit keinem Wort in seiner Vernehmung am 18.11. irgendeine Nachricht aus dem AA.

[15]Gesandtschaft Stockholm, 627 ( Kult 9 Nr. 2, Nobel-Stiftung) (aus Schmaltz [wie Anm. 16], hier S.379, Anm. 106).– Das AA dürfte über Mitteilungen aus dem Ausland verfügt ha­ben, schreibt Karlson, die von einer höflichen Ablehnung Domagks sprachen (Peter Karlson, Adolf Buten­andt, Stuttgart 1990, hier S. 105). – Siehe Elisabeth Crawford: German scientists and Hitler’s vendetta against the Nobel prize, in: Histo­rical Studies in the Physical and Biological Sciences, Volume 31, Part 1 (2000), S. 37–53, hier S. 44..

[16]Florian Schmaltz: Kampfstoff-Forschung im Nationalsozialismus, Göttingen 2005, hier 376, 379–380. Vgl. Wolfgang Schieder, Spitzenforschung und Politik. Adolf Butenandt in der Weimarer Republik und im „Dritten Reich“, S. 45–49, in: Wolfgang Schieder und Achim Trunk [Hgg.], Adolf Butenandt und die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Göttingen 2004, S. 23–77 die Zurückweisung des Nobelpreises aus Butenandts Blickwinkel. – Neu­bauer [wie Anm.12], hier Pos. 577-593 (ebook), zitiert Butenandt, der noch am gleichen Tag, dem 10.11., die Mahnung des AAs, jede offizielle Äußerung zu unterlassen, erhalten habe. Er schickt einen Brief an Hans von Euler tags darauf, Direktor des Institutes für Organ. Chemie in Stockholm, einem Mitglied des Nobelkomitees für Chemie und mit gu­ten Kontakten nach (auch dem faschistischen) Deutschland, in dem er seiner großen Freu­de Ausdruck verleiht und sich bedankt. In gleicher Weise verhält sich Kuhn. – Archiv der MPG, III. Abt., Rep. 84/2, Nr. 7813 (Hinweis aus  Wolfgang Schieder, Spitzenforschung und Politik [wie oben], hier S. 48). Die Briefe Butenandts und Kuhns erreichen Euler trotz eines angeblichen Verbots, über das Butenandt nach dem Krieg berichtet. Domagk konnte mit seinem inoffiziellen (vom 29.10.1939) und dem offiziellen (vom 3.11.1939) Dankschreiben wegen des Fehlens eines Verbots, Kontakt mit Schweden aufzunehmen, diesem nicht zuwiderhandeln.

[17]In den der Gestapo-Akte beigefügtan Kopien von der Korrespondenz um die Nobelpreisehrung befindet sich lediglich der Brief Henschens vom 21.10.1939. Zu Svartz: Anm. 29.

 

[18]Polit. Archiv AA, RAV Stockholm, Karton 627 (Kult 9 Nr. 2: Nobel-Stiftung) aus Schmaltz [wie Anm. 16], hier S. 380 Anm. 109. Polit. Archiv AA, R 60605, Kult. 1732 g und LA NRW, Abteilung Rheinland RW 58 Nr. 14040, Bl. 8 und 10.

[19]Zu der Fehleinschätzung hat beigetragen, dass Hermann Kappner, (1907-1977), NSDAP-Mitglied, Kuilturattaché der deutschen Gesandtschaft in Stockholm, Henschen bedeutete, dass der im Telegramm des AA offiziell geäußerte Wortlaut (Bitte Nobelkommitee  [sic, DS] mitteilen, dass Erteilung des Nobelpreises an Deutsche durchaus unerwünscht wäre) zu relativieren und eher als Meinungsäußerung zu verstehen sei. (Das ist wohl auch die Meinung der Gesandtschaft in Stockholm, s.  [wie Anm.15].) So jedenfalls Henschen [wie Anm. 28], hier S. 205. Henschen hatte über seinen Freund Kappner Kontakt zur deutschen Gesandtschaft aufgenommen, als die Antwort Görings auf seinen Brief von Ende Juli 1939 ausbleibt. Er erweckt durch die Art der Schilderung der Ereignisse (Weglassen der genauen Datumsangaben) den Eindruck, Domagk sei bereits am Freitag (Redan fredag…) nach der Abstimmung im Lehrerkollegium des Karolinska Instituts (Donnerstag, 26.10.1939) und nicht erst drei Wochen später am Freitag, 17.11.1939  verhaftet worden (S. 206). Diese Sichtweise hat sich so durchgesetzt, dass sogar für Almgren, [wie Anm.4], hier zB S.32, Domagk, Butenandt und Kuhn zur gleichen Zeit als Nobelpreisträger verkündet werden (26.10.1939). Grundmann  [wie Anm. 11], hier S. 82 gibt den Abstand der beiden Nobelpreisträger-Bekanntmachungen mit 14 Tagen korrekt an, ohne weiter darauf einzugehen; in gleicher Weise Neubauer [wie Anm. 12].

[20]Entnazifizierungsakte Domagk – Bericht über die Verleihung des Nobelpreises.– „Wirtz“ muss nach Domagks Beschreibung korrekt „Wirz“ heißen: „Großes Ansehen in der Par­tei, aus München“. 1944 im Wiss. Beirat Karl Brandt (Klee [wie Anm. 23], hier S. 682). Dieser Schreibfehler kommt  möglicherweise durch eine Kontamination mit dem Namen des Giftgas­experten Wolfgang Wirth zustande, ebenfalls im Wiss. Beirat Karl Brandt und ab 1948 in der Pharmakologischen Abteilung Bayer AG/Elberfeld,  später Nachfolger von Hell­mut Weese (Phosgentierversuche und Periston).– Wirz, Prof. und dermatologischer Oberarzt, ist 1933 an der Denunziationskampagne gegen den (seinen) Münchener Haut­klinikchef v. Zumbusch maßgeblich beteiligt, die mit der Entfernung v. Zumbuschs endet (Helmut Böhm, Von der Selbstverwaltung zum Führerprinzip. Die Universität München in den ersten Jahren des Dritten Reiches (1933–1936), Berlin 1995, hier  S. 529–531).

[21]BA R 43-II/910b, Bl. 55.

[22]Unterstützt wird diese Argumentation darin, dass noch nach der Entlassung  Domagks aus der Haft, nach dem 21.11.1939, Domagk Anfang Dezember 1939 zu einem Interview ver­nommen wird, das er nach seinen Angaben Stunden vor Bekanntgabe der Nobelpreisver­leihung mit einem schwedischen Journalisten geführt habe. So sehr war man da noch auf der Suche nach weiterem illoyalen Verhalten. Diese Vernehmung ordnete „Der Inspek­teur der Sicherheitspolizei und des SD in Düsseldorf“ an, nachdem er in einem Schreiben den nach Stockholm übersandten Zwischenbescheid (damit ist wohl Domags ‘zu freundlicher’  Brief gemeint, DS) als un­zutreffend (nicht der Haftgrund, DS) bezeichnet hatte (LA NRW, Abteilung Rheinland Nr. 14040, Bl. 27 und 28). Die weitere Untersuchung verläuft im Sande. Ebenso ergeht es der Untersuchung des Verhaltens des Wuppertaler Kriminalkommissars, der Domagk zu der Ehrenhaft verholfen hatte. Dass er dem Führerbefehl nicht folgt, dürfte an der nicht nachvollziehbaren Begründung für die Verhaftung aus Berlin liegen. Neben möglichen Rivalitäten zwischen Gestapo und SD, zwischen Berlin und Wuppertal – das RSHA (Reichssicherheitshauptamt) besteht erst seit Oktober 39 – könnte sein überlieferter Hang zu Eigenmächtigkeiten auch eine Rolle gespielt haben. Angesichts dessen, dass die Verhaftung Domagks einem affektiven Impuls Hitlers entspringt, dürfte wenig Interesse an weiteren Ermittlungen, die das ‚Fehlverhalten‘ der Dienststelle Wuppertal aufgedeckt hätte, bestanden haben. 15 Jahre später bescheinigt Domagk dem Kriminalkommissar, sich bei seiner Verhaftung menschlich und hilfsbereit gezeigt zu haben. Er …bot … mir sein Privatzimmer mit Schreibtisch und Chaiselongue an und gab mir die Möglichkeit dort zu arbeiten. (Rübner H: Gestapo-Terror in Wuppertal. Aufbau, Funktion und Praxis einer lokalen Verfolgungsbehörde. Münster, S. 28–30 und LA NRW, Abteilung Rheinland NW 130 Nr. 265, Bescheinigung vom 13.08.1954).

[23]UArch Münster Bestand 10 Nr. 1454 – Gerhard Domagk (1895-1964) und Neubauer [wie Anm. 12], hier Pos. 528 (ebook).

[24]Heiber H: Universitäten un­term Hakenkreuz, Teil II: Die Kapi­tulation der Hohen Schulen, Das Jahr 1933 und seine Themen, München 1994, hier S. 692.

[25]Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, 3. Auf­lage, Frankfurt 2011, hier S. 403. Mentzel ist hier, wie häufiger in den Universitätsakten, ohne „t“ geschrieben (Sabine Happ Universitätsarchiv Münster, persönliche Mitteilung). Zu Mentzel siehe Rüdiger Hachtmann, Wissenschaftsmanagent im „Dritten Reich“, hier S.270–280.

[26]Domagk [wie Anm.9], hier S. 133. Neubauer [wie Anm. 12], hier Pos. 525 (ebook), datiert dieses

Gespräch auf den 23.11.39, als Domagk in Berlin die vorformulierte Ablehnung des Nobelpreises unterschreiben muss.

[27]Neubauer nimmt die nationalsozialistische Argumentation, Domagk sei illoyal gewesen, wieder auf, indem er dessen persönlichen Mut hervorhebt und seine Leidenstage bei der Gestapo erwähnt (Neubauer [wie Anm. 12], hier Pos.773). So wird aus Hitlers Willkürakt ein oppositioneller Akt Domagks..

[28]Ryan F (1992) Tuberculosis: The Greatest Story Never Told. Swift Publishers, Bromsgrove, S. 505 und 507. Die gesellschaftliche Stimmung im Nachkriegsdeutschland rief geradezu nach einem ‘unbescholtenen’ Forscher wie Domagk.

[29]Nanna Svartz, erste Schwedin auf einem medizinischen Lehrstuhl (Nachfolgerin ihres Förderers, des Antifaschisten Israel Holmgren), Rheumatologin, seit Mitte der 1930er Jahre mit Domagk bekannt und später ihm  freundschaftlich verbunden (Domagk [wie Anm. 9], Bd. II, S. 61). Entwickelte ein Medikament gegen  Arthritis und Colitis ulcerosa: Salazopyrin (Sulfapyridin + Salicylsäure).

[30]Folke Henschen: Min långa väg till Salamanca, Bonniers Stockholm, 1957, hier S. 205-207 (Literaturstelle aus Crawford [wie Anm.15], hier S. 43).

[31]Von Domagks persönlicher Korrespondenz sind in den eingesehen Archivakten keine Überlieferung zu finden. Selbst berufliche Schreiben zu ausgewiesenen Nationalsozialisten fehlen.

[32]So nimmt er im April – wie sein Abteilungsleiter Kollege Walter Kikuth – in Elberfeld aus der Hand von Karl Brandt das Ritterkreuz zum Kriegsverdienstkreuz entgegen, eines Ordens, dessen Verleihung Hitler sich vorbehielt. Auch der Grund für seine mehr als 6-monatige Festsetzung durch die Amerikaner bleibt im Dunkeln – Arbeitsbehinderung wird diese Zeit von Bayers Personalabteilung genannt und mit einer Gehaltskürzung um 50% geahndet.

[33]Domagk [wie Anm. 9], hier S. 204/205.

[34]LA NRW, Abteilung Rheinland, Bestand NW 1022–D, Nr. 8351 (Bericht über die Verleihung des Nobelpreises 1945 o. 1946).

[35]In Domagks Sicht ist nicht nur das Militär unbeeinflusst vom Nationalsozialismus, sondern auch die Universität. So führt er in seiner Entnazifizierungsakte – im Gegensatz zu seinem Biografen Grundmann – das Ritterkreuz zum Kriegsverdienstkreuz an, wofür sein Kollege und NSDAP-Mitglied, Träger der Goethe-Medaille, Rektor des „totalen Kriegs“  Herbert Siegmund  Domagk dem Generalfeldmarschall Göring (Leiter des Reichsforschungsrat) vorschlägt. Dieser holt Hitlers Einverständnis ein. Weiteres Anm. 22.

[36]LA NRW, Abteilung Rheinland, Bestand NW 1022–D, Nr. 8351 (Bericht über die Verleihung des Nobelpreises 1945 o. 1946).

[37]Der Artikel Victim or Profiteer? Gerhard Domagk (1895-1964) and his relation to National Socialism von Henrik Uhlendahl  und Dominik Grosss D (Pathology – Research and Practise, 216, Juni 2020, 152944) ist ein beredtes Beispiel eines verzweifelten Rettungsversuchs von Domagk und Grundmann durch die Autoren vor allzu großer Nazinähe (s. https://gerhard-domagk-ein-mythos.de/verzweifelter-versuch-einer-rettung/, zugegriffen 4.10.2024).

Neuerdings wird Domagks Gesinnung als patriotisch-national beschrieben (Hofer, Hans-Georg, „Domagk, Gerhard“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.03.2024, URL: https://www.deutsche-biographie.de/118680226.html#dbocontent). Ist dies eine Umschreibung für seine in den Lebenserinnerungen selbst festgehaltenen antisemitischen, antidemokratischen und völkischen Einstellungen? Was auch immer dies sein soll – schließlich befand sich Deutschland seit 1939 in einem mörderischen Vernichtungskrieg, dem alles geopfert wurde –, so scheint diese Charakterisierung darauf Bezug zu nehmen, wie Domagks Biograf Grundmann sich geäußert hat: Domagk war … ein deutscher Patriot (Grundmann [wie Anm. 11], hier, S. 176). Auch wenn Domagks Einstellung zum Nationalsozialismus reserviert ist, hat er sich durch ihn korrumpieren lassen – Hofer beschreibt dies zurückhaltend als Nutzung der sich im NS-Staat bietenden Handlungsspielräume und Kooperationsmöglichkeiten. Weitergehend als Grundmann, erwähnt er die Kooperation in der NS-Zeit mit dem Naziaktivisten und Dermatologen Walther Schultze, verschweigt jedoch die anderen, bisher bekannt gewordenen Kontakte, zB zu Karl Gebhardt, Hugo Schmick, Karl Astel, die Domagks Eingebundenheit in das NS-System untermauern. Trotz seines Abstandes zur nationalsozialistischen Ideologie bleibt er durch seine Bereitschaft zur Kooperation für das NS-System äußerst wertvoll: …heute voll auf dem Boden des Nationalsozialismus, wie im November 1939 die interne Einschätzung nach Berlin weitergegeben wird. Es erstaunt nicht, dass Hofer als Mitglied des Münsteraner Lehrkörpers den ehemaligen Mitgliedern Domagk und Grundmann mit ‘milden Augen’ begegnet, es erstaunt hingegen, dass Hofer mit ähnlichen Worten den Bonner Internisten Paul Martini 2016 beschrieben hat, auch um dessen Zusammenarbeit mit dem SS-Hauptsturmführer und Breslauer Internisten und dem späteren Verfechter von Menschenversuchen Kurt Gutzeit verständlich zu machen. NS-kritische Aussagen zur Zeit des Nationalsozialismus sind von Martini, nicht jedoch von Domagk bekannt. In einem Schreiben von Ende Januar 1944 bemüht sich Martini um Abstand zu Domagk, dem er für einen Sonderdruck von diesem [sic!] Frühjahr dankt. Martini ist bei Weitem nicht so eingebunden in das NS-System wie Domagk, der noch in den letzten Kriegstagen, am 18. März 1945, zu einer kriegswichtigen Reise aufbricht (BAL 316/2.73). Dass beide, Domagk wie Martini, nach dem Krieg jeweils wohlwollende Leumundszeugnisse Kollegen (zB Schultze und Konjetzny bzw. Gutzeit und Grosse-Brockhoff) ausstellen, mit denen sie zusammen gearbeitet haben, verwundert nicht.